Feminismus Bauen

Zum internationalen Kongress der Architektinnen im Iran 1976

Aktueller denn je und doch ein halbes Jahrhundert her. 1976 wurde die Rolle der Frau in der Architektur thematisiert, im Iran, von Architektinnen aus der ganzen Welt. Die Inhalte waren visionär und zeigen, wie wenig sich seitdem getan hat. Neben der eigenen Sichtbarkeit ging es den Frauen um Identität, Lebensqualität und Umweltbewusstsein. Esra Akcan und Pamela Karimi bieten einen Rückblick, der noch immer wie ein Ausblick klingt.

In den 1970er Jahren, am Vorabend der Islamischen Revolution, fanden im monarchischen Iran unter der Herrschaft des Schahs drei Treffen des International Congress of Architects statt: in Isfahan (1970), Persepolis (1974) und Ramsar (1976), wobei letzteres ausdrücklich als International Conference of Women Architects bezeichnet wurde. Alle drei Kongresse standen unter der Schirmherrschaft der Ehefrau des Schahs, der Kaiserin Farah Pahlavi (Shahbanu). Sie hatte an der École Spéciale d’Architecture in Paris studiert und setzte sich aktiv für die Förderung von Architektur und Kunst im Iran ein. Die Veranstaltungsfotos belegen ihre massgebliche Rolle. Der zweite und der dritte internationale Kongress stachen aufgrund der Vielzahl der geladenen Personen aus aller Welt hervor – über 50 Rednerinnen und Redner aus 16 Ländern waren es in Persepolis und in Ramsar 25 Rednerinnen aus 14 Ländern, von Nord- und Südamerika über Europa und Afrika bis West-, Süd- und Ostasien. Während der Organisator bei allen drei Veranstaltungen derselbe blieb (das Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung), waren die Rednerinnen und Redner bewusst divers. Sie alle förderten den internationalen Gedankenaustausch über die Architektur und bildeten nichts Geringeres als einen Mikrokosmos der weltweit stattfindenden Debatten.

1 Bakhtiar 1976.

2 Vgl. Akcan 2022.

3 Bakhtiar 1976, «Preface».

4 Crisis of Identity in Architecture, 1977. Die Autorinnen danken Baharak Tabibi, die grosszügig eine Kopie zur Verfügung stellte.

5 Vgl. Akcan 2025.

6 Vgl. Akcan 2022, S. 42–50; Bakhtiar 1976, S. 17.

7 Drew in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S. 29-35; S. 31.

8 Nakahara, Ebd., 1977 S.  91.

UIFA

Neben Farah Pahlavi spielte eine weitere Frau, Laleh Bakhtiar, eine massgebliche Rolle auf den Kongress in Persepolis und Ramsar, gab sie doch ein umfangreiches Buch heraus, das im Nachgang erschien.1 Die Themen an beiden Kongressen waren weitgehend deckungsgleich. Auf dem zweiten stand das Schwinden der «Lebensqualität» im Zuge der Industrialisierung im Zentrum,2 konkret handelten die Beiträge von ärmlichen Lebensbedingungen, industrieller Standardisierung, quantitätsorientierter Massenproduktion, wirtschaftlicher Rentabilität und weltweiter Homogenisierung. Bakhtiar fasste das Fazit der Konferenzteilnehmenden folgendermassen zusammen: «Die Industrialisierung ist kein Selbstzweck, im Gegenteil: Industrialisierung muss darauf ausgerichtet sein, der gesamten Nation eine Mehr an Lebensqualität zu bringen, wobei es gilt, den bedürftigsten Bürgern Vorrang einzuräumen, um die sozialökonomischen Ungleichgewichte auszugleichen.»3 Der dritte Kongress in Ramsar fasste das Thema «Lebensqualität» neu als «Identitätskrise der Architektur» und forderte Architektinnen aus aller Welt auf, über diese Krise zu reflektieren.4

Ein damit verbundenes Thema, das sowohl in Persepolis als auch in Ramsar eine Rolle spielte, war die Zerstörung der Umwelt, die vielfach als Ausdruck des Identitätsverlustes und der sinkenden Lebensqualität begriffen wurde. Vor dem Hintergrund der iranischen Bestrebungen, eine Führungsrolle bei der Heilung der Umwelt zu übernehmen5 – verdeutlicht durch den internationalen Pahlavi Environment Prize, der seitens der Regierung im Nachgang der UN-Weltumweltkonferenz in Stockholm 1972 ins Leben gerufen worden war –, warnte die Declaration of Persepolis vor der drohenden Umweltzerstörung.6 Der Beitrag des iranischen Delegierten zur UN-Habitat-Konferenz in Vancouver 1976 ging direkt aus dem zweiten Kongress in Persepolis hervor. Fünf Architekten aus fünf Ländern, Nader Ardalan, Georges Candilis, Balkrishna Doshi, Moshie Safdie und Josep Louis Sert, formulierten die Habitat Bill of Rights, in der sie sich für einen internationalen architektonischen Menschenrechtskodex aussprachen. In ähnlicher Weise schloss der Architektinnenkongress mit einer formellen Resolution, die die wichtigsten Punkte der Identitätsdiskussion zusammenfasste. Dazu zählte auch Umweltbewusstsein. Klimabewusstes Entwerfen stand im Fokus, wobei Jane Drew Identität als das definierte, was «den Klimabedingungen, dem Leben der Menschen, die die Gebäude bewohnen, und den entsprechenden technischen und wirtschaftlichen Mitteln entspricht». Sie sprach sich für klimarelevante Lösungen aus, die auf ihren Erkenntnissen aus Debatten über tropische Architektur in Indien und Westafrika basierten.7 Nobuko Nakahara zeigte auf, dass die traditionelle architektonische Identität Japans auf eine Anpassung an das Klima zurückzuführen ist. Sie erklärte, dass die vorindustriellen Häuser aufgrund der feuchten Sommer mit bis zu 30°C zu Trocknungszwecken mit erhöhten Böden erstellt worden waren und über lange Traufen als Sonnenschutz sowie Fenster auf der Nord- und Südseite zur Querlüftung verfügten.8 Wenn aber die Themen Identität, Lebensqualität, Umweltbewusstsein, Wohnen und Industrialisierung von den früheren Kongressen übernommen wurden, was zeichnete dann die dritte Veranstaltung explizit als «Frauenkongress» aus?

Globale Zusammenkunft von Architektinnen

Der dritte internationale Kongress im Jahr 1976 mit dem Thema Identity Crisis in Architecture überliess die Bühne ausschliesslich den Frauen. Er stellte keine Fortsetzung der Vorgängerveranstaltungen dar, sondern eine Ergänzung. Er stand in konkreter Verbindung zu einer rein weiblich geprägten Institution, der L’Union Internationale des Femmes Architectes, (UIFA). Der erste UIFA-Kongress mit dem Titel Women in Architecture Around the World and the Requirements of the Modern City as Conceived by Women hatte 1963 in Paris stattgefunden und wurde infolgedessen alle zwei bis drei Jahre weltweit an verschiedenen Orten wiederholt.[12] Zum Treffen im Iran wurden einige der prominentesten Frauen aus der Welt der Architektur eingeladen, darunter Gae Aulenti (Italien), Laleh Bakhtiar (Iran), Nelly García Bellizzia (Mexiko), Anna Bofill (Spanien), Denise Scott Brown (USA), Yekta Chahrouzi (Iran), Euli Chowdhury (India), Jane Drew (GB), Noushin Ehssan (Iran), Tuula Fleming and Leena Lukkarinen (Finnland), Marie Christine Gangneux (Frankreich), Nasrine Faghih (Iran), Shizue Iijima (Japan), Moria Moser Khalili (USA/Iran) Silvana Manco Koswar (Iran), Mina Marafat (Iran), Laura Mertsi (Finnland), Laila Farhad Motamed (Iran), Nobuko Nakahara (Japan), Ellen Perry (USA), Helena Polivkova (Tschecjoslowakei), Indra Rai (Indien), Nellien De Ruiter (Niederlande), Alison Smithson (GB), Bola Sohande (Nigeria), Hande Suher (Türkei), Virginia Tanzmann (USA) Anne Tyng (USA), Joyce Whitley (USA), and Jeane Young (USA).

The Oral History of Iran Archives, Foundation for Iranian Studies

9Tabibi 2021, S. 197-212.

10 Karimi, Akcan, Interview mit Noushin Ehsan, 31. January 2025.

11 Vgl. Afkhami 2002.

12 Vgl. Torre 1977.

13 Farah Pahlavi in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S. 3-4.

14 Andref, Ebd., S.11-16; S.15.

15 “Resolutions of the Congress”, Ebd., S. 236/237.

16 Ehsan 2022, S. 121

17 Smithson in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S. 59.

18 Suher and Rai, Ebd., S. 145-151; 217-220.

19 Nakahara in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S. 89-94.

20 Sohande, Ebd., S. 95-97, p.95.

21 Garcia Bellizzia, Ebd., S. 153-157.

22 Whitley, Ebd., S. 201-214, p. 204.

Den Kongress dokumentieren zwei wichtige Quellen: der in limitierter Auflage erschienenen – Farah Pahlavi gewidmete – Tagungsband, erhältlich in der iranischen Nationalbibliothek; und die führende iranische Kunst- und Architekturzeitschrift Honar va Me’mari, welche die Veranstaltung ausführlich beschrieb und bewarb, mit Porträts der Teilnehmerinnen und erweiterten Fassungen ausgewählter Vortragsskripte. Die Architekturhistorikerin Baharak Tabibi hat den bisher umfangreichsten Beitrag zur Veranstaltung verfasst, den wir durch eine neuartige Kontextualisierung und Theorie des Feminismus zu ergänzen hoffen.9 Weiterführende Einblicke in die Entstehung des dritten Kongresses lieferte die Architektin Noushin Ehsan, eine der Hauptorganisatorinnen, mit der wir kürzlich ein Interview führen durften. Kurze Zeit nach Gründung ihres eigenen Büros wurde Ehsan (Absolventin in Architektur und Städtebau an der UCLA) von Farah Pahlavi gebeten, an der Organisation des internationalen Kongresses der Architektinnen im Iran mitzuwirken. Zunächst lehnte Ehsan mit der Begründung ab, sie sei gegen eine berufliche Geschlechtertrennung und stehe der amerikanischen Frauenbefreiungsbewegung nicht nahe. Nachdem Farah Pahlavi sie gebeten hatte, es sich noch einmal zu überlegen, stellte Ehsan fest, dass auf früheren iranischen Architekturkonferenzen niemals Frauen vertreten gewesen waren. Diese mangelnde Repräsentanz veranlasste sie dazu, doch zuzusagen. Sie sah die Konferenz als eine Gelegenheit, Frauen vom Fach zu präsentieren. Das UIFA-Symposium im Iran stellte zweifellos einen Meilenstein sowohl des iranischen als auch des weltweiten Architekturdiskurses dar.10 Es spiegelte aber auch die Komplexität der Geschlechterpolitik und der Modernisierung im Zuge der Pahlavi-Ära wider.

Das Regime förderte die Rechte der Frauen, indem es ihnen – früher als in der Schweiz – das Wahlrecht gewährte, das Bildungswesen zu ihren Gunsten ausbaute und ihre Beteiligung am öffentlichen Leben förderte. Die 1966 von Prinzessin Ashraf Pahlavi gegründete Women’s Organization of Iran bemühte sich um Verbesserungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und gesetzliche Rechte, stiess jedoch auf den Widerstand tief verwurzelter kultureller Normen.11 Bis Mitte der 1970er Jahre stieg die Zahl der Studentinnen – allerdings wurden Frauen oft in traditionell «weibliche» Bereiche wie Lehre und Pflege gelenkt. Die Beschäftigungsmöglichkeiten folgten diesem Trend, echte Emanzipation und Gleichberechtigung blieben indes aus. Frauen waren weitgehend auf schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs beschränkt, während ihnen der Zugang zu prestigeträchtigen Bereichen wie der Architektur nur begrenzt gewährt wurde. Trotz der grösseren Sichtbarkeit von Frauen aus der Mittel- und Oberschicht blieben Klassen- und Geschlechterdiskriminierung bestehen. Der Staat förderte also ein modernes Image, aber die patriarchalischen Strukturen wurzelten tief. Diese Widersprüche machten deutlich, dass die staatlichen Reformen eher auf Bevölkerungskontrolle und wirtschaftliche Modernisierung, denn auf echte Geschlechtergleichstellung abzielten.

Frauen zwischen Tradition und progressiven Idealen

Auch der Kongress in Ramsar stand im Spannungsfeld zwischen dem Festhalten an konservativen Traditionen und dem Streben nach maximal fortschrittlichen Idealen in Bezug auf die Rolle der Frau. Allen Widrigkeiten zum Trotz stellte das Jahr 1976 in Bezug auf Letzteres einen Meilenstein in der Architekturgeschichte dar. Nur drei Jahre nachdem das American Institute of Architects (AIA) seine Arbeitsgruppe «Women in Architecture» ins Leben gerufen hatte und ein Jahr vor der Veröffentlichung von Women in Architecture: A Historic and Contemporary Perspective, herausgegeben von der feministischen Architektin Susana Torre, richtete der Iran diese International Conference of Women Architects aus und positionierte sich damit im internationalen Diskurs über Frauen als Architektinnen.12 Dem Iran der 1970er Jahre mangelte es jedoch an der organisierten feministische Dynamik jener Zeit, und die Rolle der Frau blieb an traditionelle Geschlechterbilder gebunden.

In ihrer Eröffnungsrede regte Farah Pahlavi, die sich für die Förderung von Frauen in der Architektur eingesetzt hatte, unter anderem mit Hinweis auf die Innenarchitektur von Institutionen wie Madreseh-ye Ali-e Dukhtaran (der heutigen Al-Zahra-Universität) an, dass «diese Versammlung den Faktor Gefühl» im Hinblick auf die Bewältigung der «rasanten Veränderungen der letzten Jahre» erforschen könne.13 Ähnlich äusserte sich die Präsidentin des Kongresses, Nectar Andref, in ihrer Eröffnungsrede: «Hier im Iran wollen wir unsere Vergangenheit mit unserer Zukunft versöhnen und für die Gegenwart eine architektonische Identität finden, die weder ein Pastiche noch ein Gegenstil ist, sondern eine lebendige Art, unsere Beständigkeit auszudrücken. Die Frauen, deren Feingefühl in der ganzen Welt gerühmt wird, könnten hervorragende Impulsgeberinnen dieser Denkrichtung sein.»14 Die Abschlusserklärung des Kongresses vertrat einen weitgehend konservativen, essentialistischen Standpunkt zu Frauenfragen, indem etwa festgestellt wurde: «Architektinnen und Planerinnen sind in der Lage, sowohl die erwartbaren als auch die erwünschten Veränderungen in den familiären Strukturen zu erspüren» und «[sie] haben die Fähigkeit, auf ein Gleichgewicht zwischen Veränderung und Kontinuität hinzuarbeiten». Die schliessenden Worten lauteten: «… die Teilnehmerinnen sind der Meinung, dass es regelmässige Treffen geben sollte, nicht unbedingt als rein weibliches Unterfangen, sondern vorzugsweise als gemeinsame professionelle Bestrebung mit unseren männlichen Kollegen im Zuge der bereits im Iran geplanten internationalen Architekturkongresse.»15 Auch die Darstellung der – sowohl iranischen als auch ausländischen – Architektinnen in der Kunst- und Architekturzeitschrift Honar va Me’mari manifestierte die traditionellen Geschlechterrollen, indem sie ihren Beitrag zu heimischen Räumen und familiären Kontexten hervorhob, anstatt sie als unabhängige Fachleute zu positionieren. Die Arbeit der Frauen wurde vielfach in Beziehung zu ihren Architektenehemännern gesetzt, die auch ihre Geschäftspartner waren, obwohl viele dieser Frauen eine massgebliche Rolle bei den gemeinschaftlichen Architekturprojekten spielten. Über die Fachwelt der Architektur hinaus fand das Ereignis im Iran keine grössere Beachtung, wahrscheinlich weil es von der bevorstehenden Revolution überschattet wurde. Die Medienberichterstattung war weitgehend sensationslüstern, titelte etwa «Frauen: Von der Maniküre und Pediküre zur Architektur und zur ausgefeilten Architektur aus Frauenhand.»16

Diese Veröffentlichungen gaben den Ton der Veranstaltung an und stellten Frauen als Restauratorinnen von «Empathie» und «Gefühl» in der Architektur dar, wobei ihre vermeintliche Feinfühligkeit eher als Vorteil für den Status quo erachtet wurde, denn als dessen Herausforderung. Sie wurden eher als Kulturbeauftragte und Mitarbeiterinnen innerhalb des bestehenden Systems statt als radikale Treiberinnen der Veränderung betrachtet. Dennoch zeugen die Beiträge auch von einer marginalen, aber beständigen «feministischen» Strategie, die wir in diesem Artikel herausstellen möchten.

Architektonische Identität jenseits des Geschlechts

Da der Frauenkongress unter dem Motto «Identitätskrise in der Architektur» stand, hätte man einen starken Fokus auf die Geschlechteridentität erwarten können. Viele Teilnehmerinnen waren jedoch entschlossen, ihre Arbeit und Relevanz nicht auf Inhalte zu beschränken, die spezifisch und stereotyp mit ihrem Geschlecht verbunden waren. Die Tatsache, dass sich viele der Themen auf beiden Kongressen wiederholten, unterstrich die Bedeutung der Frauen bezüglich einer Vielzahl globaler Herausforderungen, die bereits im Kontext internationaler Treffen identifiziert worden waren. Alison Smithson erinnerte an eine im Jahr 1952 getätigte Definition der Identität als «jene Qualität, der es dem Wohnungsbau mangelt» sowie als Kritik an der Moderne und verwies auf ihre eigene Praxis, diese mangelnde Qualität «hinlänglich zu erklären und gründlich zu dokumentieren».17 Hande Suher und Indra Rai betrachteten das Thema Wohnen und illegale Hüttensiedlungen in der Türkei und in Indien als Hinweis auf jene Identitätskrise, die die Lebensqualität in sich schnell urbanisierenden Städten beeinträchtigt.18 Nobuko Nakahara kritisierte den Niedergang traditioneller modularer Elemente in der japanischen Architektur – insbesondere Tatami und Shoji, die sie als wesentliche «Mittel für komfortables Wohnen» bezeichnete – als eine Folge der Industrialisierung.19 Die Identitätsfrage war auch mit antikolonialen und antirassistischen Ansätzen verknüpft: «Vorbei sind die Zeiten, in denen Architekten, Künstler und Kunsthandwerker grösste Mühen auf sich nahmen, um Meisterwerke zu schaffen», sagte die Nigerianerin Bola Sohande: «Im sich entwickelnden Afrika gab es bereits eine Form der Architektur, bevor die Europäer mit ihren eigenen Ideen ankamen», die in «einer vielfach sehr einfachen und uninspirierenden Kombination von Boxen gipfelten.»20 Die Mexikanerin Nelly Garcia Bellizzia verwies auf den «Verlust kultureller Bezüge» und kritisierte insbesondere die Auslöschung der Geschichte der indigenen Völker im Zuge der spanischen Kolonisierung.21 Joyce Whitley präsentierte ihre Wohnbauprojekte für Schwarze Communitys mit niedrigem und mittlerem Einkommen als Versuch, die kulturelle Identität zu bewahren und zu respektieren: «Seit vielen Jahren kritisieren die Schwarzen Communitys in den USA den Charakter von Planung und Entwurf ihrer Viertel offen und fordern lautstark, dass Stadtplaner und Architekten Pläne entwickeln, die ihren Bedürfnissen entsprechen sowie ihre Lebensweise und -prioritäten widerspiegeln.»22

23 Scott Brown, in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S. 37-40.

24 Young, Ebd., S. 185-189.

25 Gangneux, Ebd,. S. 159-165.

26 de Ruiter, Ebd., S 170.

27 Pamela Karimi prägt den Begriff „gestischer Feminismus“, um die stillen Akte der Rebellion von Frauen im postrevolutionären Iran zu beschreiben. Vgl. Karimi 2024.

28 Faghih in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S.179-183.

29 Bakhtiar, Ebd, S. 19-27; Ardalan/Bakhtiar 1973.

30 Amanat/Abbas 2017, S. 334-335.

31 Ebd.

32 Noushin Ehsan stellte freundlicherweise das vollständige Manuskript ihres Vortrags zur Verfügung. Teile daraus erschienen in Honar va Me’mari, vol. 35/36, August-November 1976.

Wenngleich jeder Vortrag in einem prägnanten, manifestartigen Format daherkam, waren explizite feministische Manifeste auffallend rar. Das augenfälligste Beispiel feministischer Kritik kam von Denise Scott Brown, die sich mit geschlechterspezifischen Ungleichheiten in der Architektur befasste. Ihr Vortrag mit dem Titel «Sexism and the Star System in Architecture» wurde offenbar absichtlich oder versehentlich gekürzt, möglicherweise um ihre deutlich feministische Haltung abzuschwächen.23 Sie kritisierte das von Männern dominierte «Star-System», das männliche Architekten zu «Genies» erkürt, während die Beiträge von Frauen und Mitarbeitenden unbeachtet bleiben. Sie zeigte strukturelle Probleme auf, mit denen sich Frauen in diesem Bereich konfrontiert sehen und die ihre Anerkennung verhindern, etwa soziale Ausgrenzung, Voreingenommenheit der Mentoren und starre Hierarchien. Scott Brown wies zudem darauf hin, dass Frauen, die mit berühmten männlichen Architekten verheiratet sind (wie sie selbst mit Robert Venturi), oft im Schatten ihrer Ehemänner stünden. Jean Young, eine weitere amerikanische Architektin, sprach über die jüngsten Initiativen der AIA zur Förderung einer stärkeren Einbeziehung von Frauen in die Architektur.24 Feministische Themen spielten auch eine Rolle in Marie-Christine Gangneux’ Erörterung der – «Torheiten» und «Vergnügen» umfassenden – weiblichen Qualitäten25 und in Nellien de Ruiters Unterscheidung zwischen Emanzipation (Gleichstellung unterrepräsentierter Gruppen) und Feminismus (Infragestellung der Dominanz männlicher Werte und Betonung «weiblicher Qualitäten wie Zärtlichkeit, Feinfühligkeit und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in einfache Proportionen zu übersetzen»). De Ruiter vertrat die Meinung, dass letztgenannter Aspekt letztlich die physische Umwelt präge.26 Andererseits spiegeln die Fotos der Referentinnen sowohl deren Leidenschaft als auch den partizipativen Geist wider. Ein Bild des Publikums, das sich auf dem Boden der Hotellobby niedergelassen hat, um Alison Smithson zu lauschen, gerät zu einem überzeugenden Beispiel jenes «gestischen Feminismus», der Teile der Veranstaltung subtil prägte.27

«Feminismus des Herzens»

Inwiefern wurden weibliche Anliegen von iranischen Architektinnen auf dem Kongress, in den Textbeiträgen und in weitreichenderen Diskussionen der Geschlechterthematik in der iranischen Architekturlandschaft thematisiert? Viele iranische Architektinnen konzentrierten sich in ihren Diskussionen auf die allgemeine Rolle des Menschen als Nutzer und Schöpfer von Architektur, anstatt insbesondere die Beiträge von Frauen zu betonen. Nasrine Faghih verwies zum Beispiel auf die Heidegger’sche Auseinandersetzung mit dem «Wohnen».28 Bakhtiar führte die Identitätskrise auf eine verlorene Einheit zwischen dem Selbst und einem höheren «Bewusstsein» zurück und lenkte das Gespräch im Einklang zu ihrer mitverfassen Publikation A Sense of Unity (1973) in Richtung der Dimensionen des iranischen Sufismus.29 Andere entwickelten das Konzept der menschlichen Handlungsfähigkeit aus der Perspektive des «individuellen Willens» weiter. Nach Ansicht von Noushin Ehsan, die heute 82 Jahre alt ist und aus einer Bahá’í-Familie stammt, ist der individuelle Wille wichtiger als strukturelle oder systemische Veränderungen. Laut ihr werden in der Bahá’í-Religion im Gegensatz zum traditionellen islamischen Glauben Männer und Frauen gleichberechtigter behandelt; ob dieses Ideal jedoch konsequent praktiziert wurde, ist umstritten. Wir könnten die Aufmerksamkeit auf Táhirih (auch bekannt als Qurrat al-ʿAyn oder Tröstung der Augen) lenken, eine einflussreiche babistische Dichterin, Theologin und Verfechterin der Frauenrechte. 1848 gab Táhirih eine kühne und umstrittene Erklärung ab, im Zuge derer sie ihren Hidschab vor einem männlichen Publikum abnahm, um es direkt anzusprechen, und forderte damit die gesellschaftlichen Normen der damaligen Zeit heraus. Ihre als skandalös empfundene Tat führte letztlich zu ihrer Hinrichtung, bleibt aber eine Sternstunde der Geschichte des Feminismus im Iran.30

Ehsans Erfahrung als Frau in einer Männerdomäne erinnert an Qurrat al-ʿAyns Widerstand, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Sie setzte auf individuelle Beharrlichkeit statt auf offenen Aktivismus. Überzeugt davon, dass Veränderungen eher durch persönliches Handeln als durch öffentliche Proteste herbeigeführt werden können, versuchte Ehsan, gleichberechtigte Räume für Frauen in der Architektur zu schaffen, ohne das System direkt infrage zu stellen. Diese Sichtweise wurde im Rahmen des Kongresses deutlich, als sie Denise Scott Brown nach deren Vortrag mit der These herausforderte, dass Marginalisierung nicht nur Frauen betreffe, und Steven Izenour als Beispiel anführte, einen weniger bekannten Mitarbeiter im Büro von Venturi und Scott Brown. Gemäss Ehsan nahm Scott Brown die Kritik nicht gut auf. Die Reaktionen des Publikums auf Scott Browns Äusserungen sind nicht bekannt, aber Ehsans Haltung spiegelte ihre klare Überzeugung wider, dass individuelle Handlungsfähigkeit und nicht kollektiver Protest der Schlüssel zur Überwindung des Ungleichgewichts in der Architektur ist.31

In ihrem eigenen Beitrag, The Knowledge-Change Gap, konzentrierte sich Ehsan, wie viele ihrer iranischen Kolleginnen, auf allgemeine gesellschaftliche Herausforderungen und weniger auf die Belange der Frauen. Sie meinte, Planende seien durch ihr Festhalten an konventionellen Entwürfen und veralteten Vorschriften nicht in der Lage, den sich verändernden Bedürfnissen, insbesondere im Bereich des Wohnungs- und Städtebaus, gerecht zu werden. Statt einer simplen Reproduktion traditioneller Ästhetik forderte sie einen Wandel hin zu einer anpassungsfähigen, gemeinschaftsorientierten Planung, die das Individuum im Blick hat. Wenngleich sie sich nicht explizit als Feministin bezeichnete, entsprach ihr Fokus auf partizipative Planung und Graswurzelengagement den feministischen Grundsätzen kollektiver Handlungsfähigkeit und Dezentralisierung. Sie plädierte für finanzielle Förderung von Innovationen, die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Flächennutzungspolitik und städtische Wohlfahrtsinitiativen zur Unterstützung marginalisierter Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Land-Stadt-Flüchtigen. Ehsans Vision von flexiblen, integrativen Umgebungen – in denen die Gemeinschaften ihre gebauten Räume aktiv mitgestalten – entspricht der feministischen Kritik an einer Top-down-Stadtplanung, auch wenn ihre Argumente eher auf allgemeine strukturelle Belange als auf einen geschlechtsspezifischen Diskurs abzielten.32 Während sich die meisten Männer seinerzeit eher auf grossangelegte Planungen und Top-down-Strategien fokussierten, lenkte Ehsan das Gespräch auf den Beitrag der Gemeinschaft und aktive Beteiligung. Ein weiterer Hinweis auf Ehsans subtile feministische Haltung im Kontext der Veranstaltung ist ihr Porträt in Honar va Me’mari: Als einzige Frau wurde sie unabhängig und ohne Bezugnahme auf ihren amerikanischen Ehemann Robert Bryan vorgestellt, einen sowohl im Iran als auch in den USA tätigen Architekten. Anstatt für strukturelle Veränderungen in ihrem Berufsstand einzutreten, setzte Ehsan auf die Kraft persönlicher Entscheidungen, zum Beispiel sich unabhängig von ihrem Ehemann als Architektin zu profilieren oder Veränderungen aus der Aussenseiterinnenposition voranzutreiben. Diese Haltung, die sie als «Feminismus des Herzens» bezeichnete, zeichnete ihr Streben nach Autonomie in einer Männerdomäne aus.

33 Sardar-Afkhami, in The Crisis of Identity in Architecture 1977, S. 81-87.

34 Sardar-Afkhami 1976, S. 2-5.

35 Moser-Khalili 1976, S. 8-11.

Auch Leila Farhad Motamed Sardar-Afkhami war eine klare Befürworterin von feministischen Bottom-up-Strategien. In ihrem Vortrag argumentierte sie, dass die moderne Wohnbaupolitik der Quantität vor der Qualität Vorrang einräume und damit Entfremdung befördere.33 Im Gegensatz zu Ehsan betonte Sardar-Afkhami jedoch später die Rolle der Frauen, indem sie ihren umfangreicheren Zeitschriftenartikel mit «Women Architects» betitelte und so das Geschlecht in den Mittelpunkt stellte. Sie hob die weiblichen Beiträge hervor und vertrat die Ansicht, dass deren Perspektiven – die auf Fürsorge, Erhaltung und einem Gleichgewicht von Kühnheit und Feinfühligkeit beruhen – das traditionell technologisch dominierte Feld neu zu gestalten vermögen.34 Interessanterweise wurde Sardar-Afkhamis Artikel eine weibliche Neuinterpretation von Leonardo da Vincis Vitruvianischer Mensch gegenübergestellt, was das Bestreben des Kongresses unterstreicht, Frauen in den Mittelpunkt der Architektur zu stellen. Während sich Sardar-Afkhami in ihrem Beitrag explizit, wenn auch bedacht, mit der Rolle der Frau auseinandersetzte, griffen viele andere das Thema nicht so direkt auf. Das wirft die Frage auf, welche Bedeutung dem Bild zukommt und wie die Leserschaft der Zeitschrift es interpretiert haben dürfte. Vielleicht diente die Illustration, ähnlich wie Bakhtiars sufistisch geprägter Diskurs, als abstrakte Anspielung auf die kosmische und irdische Rolle der Frau – als sowohl rhetorisches als auch materielles Symbol der Schöpfung und Fürsorge im Rahmen des platonischen Kreises (Kosmos) und Quadrats (Welt).

Feminismus visualisieren

In derartigen Zuschreibungen – etwa der vermeintlichen Verwurzelung der Frauen in der Natur – hallte Farah Pahlavis Diskurs über Empathie und Gefühl wider. Doch statt nur rhetorische Blüten zu sein, nahmen sie in Entwürfen und Architekturzeichnungen Gestalt an. Moira Moser-Khalilis Zeitschriftenbeitrag mit dem Titel «Urban Design Recommendation for Iran» ist ein Beispiel für eine derartige Übersetzung des Diskurses.35 Mit Blick auf die rasante Industrialisierung im Iran hob sie hervor, dass die Masterpläne – insbesondere jener von Gruen-Farmanfarmaian für Teheran – die Bedürfnisse arbeitender Frauen nicht berücksichtigten. Sie schlug städtebauliche Strategien vor, um die Mobilität der Frauen zu verbessern, die Beziehungen zwischen Wohnen und Arbeit neu zu strukturieren und die heimische Belastung zu verringern, um ihre umfängliche Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten. Moser-Khalilis Vision einer Integration von Frauen und einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen ging über reine Kritik hinaus und resultierte in einer eigenen Visualisierung, die sie als «Konzept der ineinandergreifenden Finger» bezeichnete. Sie lehnte Gruen-Farmanfarmaians starres lineare Modell ab und schlug einen eher fliessenden Ansatz vor, der eine Integration an wichtigen «Knotenpunkten» vorsah, an denen sich Wohngebiete und öffentliche Zonen überschneiden. In einer weiteren Zeichnung veranschaulichte Moser-Khalili die Umstrukturierung alter Stadtviertel zugunsten berufstätiger Hausfrauen und plädierte für extrovertierte «cave»-Viertel mit gut erreichbaren Einrichtungen in der Peripherie anstelle zentraler Knotenpunkte. Dieses Modell sorge für mehr Mobilität, reduziere die Anzahl der Fahrten und erhöhe die Effizienz der Verkehrsmittel, was die tägliche Belastung reduziere – insbesondere für Frauen, die Arbeit und Haushalt unter einen Hut bringen müssen. Sie kontrastierte es mit dem traditionellen «cell»-Modell, welches alle Dienstleistungen in einem zentralen «Kern» bündelt, was die Erreichbarkeit verschlechtert. Ihre Vorschläge und Darstellungen betrafen auch die sich wandelnde Rolle iranischer mahallahs (Nachbarschaften). Sie konstatierte, die sozialen Bindungen würden sich immer mehr in Richtung Arbeitsplatz verlagern, da die Mütter zunehmend ausserhalb ihres Wohnviertels arbeiten und die Kinder staatliche Kindertagesstätten besuchen, was die traditionellen gemeinschaftlichen Netzwerke sukzessive schwäche – eine Problematik, die sich auch in Christopher Alexanders Kritik an der Zersiedelung der Städte widerspiegelt.

Soheila Beski

@taranyalda / LA Times

Studio Chahar

Leila Araghian / Diba Group

Teheran, 21. Januar 2025

36 Ebd., S. 5-6.

37 Vgl. Karimi 2022, S. 56-58.

38 Vgl. Tajbakhsh 2022.

39 Ehsan 2022, S. 71-72.

Wenngleich die kurvenreichen Formen auf romantisierte Ideale der Weiblichkeit, Emotionalität und Natürlichkeit zurückgeführt werden könnten, wohnte Moser-Khalilis Zeichnung ein tieferer Sinn inne. Auch wenn sie ihren Vorschlag nicht explizit als feministische Intervention bezeichnete, forderte ihr Fokus auf eine Überwindung der Klassen- und Geschlechtertrennung mittels einer «weichen» Raumgestaltung die traditionell top-down vollzogenen Modernisierungsbestrebungen des Iran subversiv heraus.36

Gestischer Feminismus

Die Quellen zum Frauenkongress zeigen, dass der Feminismus präsent war – er wurde von engagierten Teilnehmerinnen zum Ausdruck gebracht, mal mehr, mal weniger direkt. Nur vier Jahre nach Ramsar vollzog sich im Iran eine Revolution, die zu einer drastischen Veränderung der sozialen und politischen Landschaft führte. Wenngleich der Aufstand die autoritäre Herrschaft des Schahs infrage stellte, ging er in der Folge auf Kosten zahlreicher marginalisierter Gruppen, vor allem der Frauen, deren Kampf um Anerkennung und Einfluss noch lange nicht gewonnen war. Die Revolution eröffnete Architektinnen keine neuen Möglichkeiten; vielmehr sollte es Jahre, ja Jahrzehnte dauern, bis sie ihren Platz in der Branche zurückerobern und sich behaupten konnten. Und wenn sie dann wieder eine Rolle spielten, schlugen sie – dem subtilen, unterschwelligen Tonfall des Kongresses vergleichbar – vielfach alternative Wege ein und engagierten sich in Bereichen wie Stadtpolitik, Anthropologie, Journalismus und Graswurzelinitiativen, anstatt den traditionellen architektonischen Karrierepfaden zu folgen. In den 1980er Jahren belebten Frauen die iranische Kunstszene neu, indem sie inoffizielle Galerien in ihren Hauskellern und Garagen eröffneten.37 Viele arbeiteten auch in Stadtentwicklungsbüros und engagierten sich in kommunalen Projekten, wurden sie doch bei der Vergabe von Lehraufträgen an Universitäten oft übergangen. Frauen in der Architektur und verwandten Disziplinen begannen damit, Veranstaltungen zu organisieren, Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen, ausschliesslich weiblich geführte NRO zu gründen und sich im Gemeinderat (shorahay-e shahr) zu engagieren.38 Andere begannen, über Architektur zu schreiben, und beschritten neue intellektuelle Wege. Soheila Beski (1953–2015), eine Absolventin der Michigan State University im Fachbereich Management, kehrte nach der Revolution in den Iran zurück und spielte als freie Mitarbeiterin im Forschungszentrum für Architektur und Stadtplanung des Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtplanung eine Schlüsselrolle bei der Gründung und Leitung zweier einflussreicher Architekturzeitschriften, Abadi und Me’mar. Sie nutzte diese beiden Plattformen, um marginalisierten Stimmen in der Architektur Gehör zu verschaffen. Andere Architektinnen, insbesondere Taraneh Yalda, spielten eine massgebliche Rolle bei der Restaurierung historischer, vom Abriss bedrohter Gebäude. Angesichts der Gentrifizierung und Top-down-Stadtplanung versuchte sie, das architektonische Erbe zu retten, und setzte sich für Fussgängerzonen, Grünflächen und andere Revitalisierungsmassnahmen ein. Die jüngere Architektinnengeneration hat sich zunehmend einem nachhaltigen, gemeinschaftsorientierten Entwerfen und humanitärem Schaffen verschrieben, so auch Yasaman Esmaili, Gründerin von Studio Chahar.

Trotz der wachsenden Zahl von Frauen an Architekturschulen – von denen einige wie Leila Araghian die Karriereleiter erklommen und prestigeträchtige nationale wie internationale Designpreise, etwa den Aga Khan Award for Architecture, gewonnen haben –, ist dieses Berufsfeld im Iran nach wie vor eine Männerdomäne. In ihren Memoiren erinnert sich Noushin Ehsan an ihre anfängliche Ablehnung der Frauenbefreiungsbewegung, glaubte sie doch, beruflich nicht von Diskriminierung betroffen zu sein, und erachtete die amerikanischen Feministinnen als zu aggressiv. Sie kritisierte deren Vorstoss für Quotenregelungen an Universitäten mit dem Argument, dass persönliche Verdienste bei der Einstellung entscheiden sollten, und führte als Gegenbeispiel den Iran an, wo Frauen hochrangige Positionen innehatten und weithin respektiert wurden. Ein Jahrzehnt später stiess sie als Leiterin ihres eigenen Architekturbüros in Teheran dann aber doch auf die systembedingten Hindernisse dieser Männerdomäne und erkannte das Ausmass der Diskriminierung. Gleichzeitig sah sie die ungewollten Folgen der Bewegung, wurde von Frauen nun schliesslich erwartet, berufliche und häusliche Pflichten ohne ausreichende Unterstützung unter einen Hut zu bringen, was eine echte Gleichstellung verunmöglichte.39

Ehsans wechselhafte Haltung zum Feminismus spiegelt den anhaltenden Geschlechterkampf in der Welt wider, der im Iran 2022 in der Bewegung «Women, Life, Freedom» kulminierte. Trotz staatlicher Restriktionen riskierten Frauen ihr Leben, ihre Karriere und ihre Freiheit. Es ist ein Widerstand, der bis heute anhält – am sichtbarsten auf öffentlichen Architekturveranstaltungen, wo Architektinnen trotz schwerwiegender Konsequenzen unverschleiert auftreten. Der Kontrast zwischen der subtilen feministischen Sprache des Architektinnenkongresses von 1976 und der heutigen mutigen Präsenz der Frauen in der iranischen Architekturszene ist frappierend. Es ist nach wie vor eine immense Herausforderung, in einer Theokratie, die sie als Bürgerinnen zweiter Klasse betrachtet, strukturelle Veränderungen herbeizuführen. Durch persönlichen Widerstand – etwa das Erscheinen ohne Hidschab zu Architekturpreisverleihungen oder auf anderen breit ausgestrahlten Veranstaltungen – behaupten sie jedoch ihre Handlungsfähigkeit mittels eines «gestischen Feminismus», der in gewisser Weise auch Noushin Ehsans «Feminismus des Herzens» entspricht. Sie hatte erklärt, dass ein Wille zur Veränderung, der nicht aus tiefstem Herzen kommt, leicht schwindet, wenn die Strukturen zusammenbrechen. Die Erinnerung an die Architekturkongresse der 1970er Jahre ist für ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Macht und Raum in der Architektur unerlässlich. Die Biopolitik dieses Fachgebiets bleibt ein umstrittenes Thema – nicht nur in der iranischen Theokratie, sondern auch in Demokratien, die ein Wiederaufleben des rechten, männlich dominierten Konservatismus erleben. Nun, da zahlreiche etablierte sozial gerechte und gleichberechtigte Strukturen auf der Kippe stehen und organisierter Widerstand notwendiger denn je ist, wächst auch die Dringlichkeit eines Wandels, der vom individuellen Willen und von tief verwurzelten Überzeugungen getragen wird. Während Nationalismus und Isolationismus heutzutage auf dem Vormarsch sind, vereinen nur noch wenige Plattformen Architekturschaffende über Grenzen hinweg. Die iranischen Kongresse der 1970er Jahre bilden da trotz ihrer Unzulänglichkeiten nach wie vor eine Ausnahme.







Bibliographie:

  • Akcan, Esra Abolish Human Bans: Intertwined Histories of Architecture. Montreal CCA, 2022.
  • Akcan, Esra Architecture and the Right to Heal: Resettler Nationalism in the Aftermath of Conflict and Disaster. Durham, 2025.
  • Afkhami, Mahnaz “The Women's Organization of Iran: Evolutionary Politics and Revolutionary Change", in: Beck Lois/Nashat Guity (eds), Women in Iran From 1800 to the Islamic Republic, Chicago 2002.
  • Ardalan/ Bakhtiar A Sense of Unity: A Sufi Tradition in Persian Architecture, Chicago 1973.
  • Bakhtiar, Laleh (ed) Towards a Quality of Life: The Role of Industrialization in the Architecture and Urban Planning of Developing Countries: Report of Proceedings of the Second International Congress of Architects, Persepolis, Iran 1974, Tehran 1976.
  • Ehsan, Noushin A Memoir: The Making of a Woman Architect. Independent publication, 2022.
  • Karimi,Pamela Alternative Iran: Contemporary Art and Critical Spatial Practice. Stanford 2022.
  • Karimi, Pamela "The Gestural Feminism of Iranian Women", in:  Hyperallergic 14 Nov. 2024.
  • Moser-Khalili, Moira "Urban Design Recommendation for Iran", in: Art and Architecture Journal, August-November 1976, Special Edition: Women Architects, English section.
  • Sardar-Afkhami, Leila Farhad Motamed “Women Architects”, in: Art and Architecture Journal, August-November 1976, Special Edition: Women Architects, English section.
  • Tabibi, Baharak "Unhiding the Hidden Portrait of Pahlavi Women Builders in Sketching the Iranian Modernity: A Reassessment of the Congress of Women Architects.", in: METU Journal of the Faculty of Architecture, vol. 38, no. 1, 2021, pp. 197-212.
  • Tajbakhsh, Kian Creating Local Democracy in Iran: State Building and the Politics of Decentralization. Cambridge 2022.
  • Torre, Susana Women in Architecture: A Historic and Contemporary Perspective, New York, 1977.
  • The Crisis of Identity in Architecture. Report of the Proceedings of the International Congress of Women Architects, Ramsar, Iran, 1976. Prepared for the Ministry of Housing and Urban Development of the Imperial Government of Iran, Tehran 1977.

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