Hermann Czech


Hermann Czech wird dieses Jahr mehrfach gewürdigt. Neben der ersten Einzelausstellung in seiner Heimatstadt Wien, wird dem 87-jährigen der Grosse Österreichischen Staatspreis für sein Lebenswerk als Architekt verliehen. Ein guter Moment ihn zu besuchen. Matthias Moroder sprach mit ihm über die Postmodernen, Plagiate und das Zusammenspiel von Entwerfen und Schreiben.   

Matthias Moroder: Anfang Juni 2024 ist Ihre erste Einzelausstellung in Wien mit dem Titel Ungefähre Hauptrichtung im jfk3 - Raum für zeitgenössische Kunst zu Ende gegangen. Was hat Ihnen diese Ausstellung bedeutet?

Hermann Czech: Meine erste Einzelausstellung in Wien, ja. Was soll ich da sagen? Ich war natürlich positiv dazu eingestellt. (lacht) 

Moroder: Ich habe selten so ein Gedränge bei einer Ausstellungseröffnung gesehen

Czech: Aber medial war es eigentlich ein Flop. Nur in einer einzigen Tageszeitung gab es dazu einen repräsentativen Artikel. Und dann halt im Falter; im Profil nichts, in Die Zeit nichts, im Fernsehen nichts.

Moroder: Immerhin sind bei der Eröffnung unter anderem viele bedeutende internationale Architektinnen und Architekten eingetroffen…

Czech: Ja, auch später sind viele gekommen. Während der Öffnungszeiten war es eigentlich immer gut besucht, kaum je ganz leer. Mich hat es gefreut, wie die Kuratorinnen das gemacht haben. Es gab hauptsächlich fachliche Resonanz, aber sehr breit und auch international. Und vor allem auch von Jüngeren. 

Moroder: Könnten Sie etwas zum Ausstellungskonzept sagen und zu Ihrer Zusammenarbeit mit den Kuratorinnen Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß und Fiona Liewehr? 

Czech: Das hat sich sehr kongenial aufgeschaukelt, die Verteilung der Projekte in den sehr unterschiedlichen Räumen der beiden Geschosse – nicht durchwegs nach Nutzungen, sondern auch nach Entwurfsgedanken; etwa von der Methodik im Sinne Konrad Wachsmanns und ihrer Ausweitung zu Wahrnehmungseffekten bis zur Einbeziehung von Partizipation. Erst später hat sich die Arbeit schwergewichtig aufgeteilt: Gabi Kaiser hat vor allem die Texte redigiert und neue verfasst, Eva Kuß das lockere und wandfüllende Layout entworfen, Claudia Cavallar die bauliche und Fiona Liewehr die organisatorische Realisierung betreut. Gerhard Flora hat vor allem die spezielle Stiege ausgearbeitet. Die Auswahl konnte nicht alle Projekte berücksichtigen; etwa 10-15% sind mehr oder weniger zufällig herausgefallen. 

Moroder: Haben Sie in Ihrer beruflichen Praxis Projekte auch abgelehnt?

Czech: Wo ich einen Auftrag bekommen hätte, meinen Sie? Eine Auftragssituation kommt eigentlich gar nicht erst zustande, wenn die Betrachtungsweisen nicht zusammenpassen. Dass ich etwas aus ideologischen Gründen abgelehnt hätte, ist mir noch kaum passiert. – Einmal hatte ich eine Anfrage für einen Umbau einer Galerie, die Massenkunst verkaufte. Da habe ich abgelehnt, weil das ja ein aufgelegter Betrug ist. Da wird etwas als Kunst verkauft, was nichts wert ist. Der Verkäufer weiss, dass es nichts wert ist und stellt es aber anders dar. Das ist eine Fehlinformation und eine Geschmacksverirrung, einfach eine von Grund auf falsche geistige Befindlichkeit bei Angebot und Nachfrage. Ein anderes Beispiel einer inhaltlichen Differenz fällt mir nicht ein. 

Moroder: In der Ausstellungsbroschüre finden sich zwei Stadtpläne, vom ersten Bezirk und vom grösseren Stadtgebiet, in denen erstmals alle Ihre Projekte lokalisiert sind. Darüber wird ersichtlich, wie der erste Bezirk einerseits eine zentrale Stellung in Ihrem Schaffen einnimmt. Andererseits, wie sehr Sie an Wien als gesamter Stadt gearbeitet haben. 

Czech: Einerseits kamen die konkreten kleinen Aufträge aus Wiener kulturellen Bekanntenkreisen, andererseits waren meine planerischen Interessen auf Wien konzentriert. Aber in beiden Massstäben sieht man an den Karten, wie viele Arbeiten ins Leere gehen: ein gutes Drittel – das betrifft nicht speziell mich, sondern den Beruf überhaupt; Frustrationstoleranz heisst das, glaube ich. Von dem Dutzend planerischer Ansätze haben nur zwei überhaupt Wirkung gehabt – und das nur indirekt. 

Moroder: Welche waren das? 

Czech: Beide betreffen das Wiener U-Bahn-Netz: Um 1966 war ich Teil jener Kritik, die die Führung der U3-West in der Mariahilfer Strasse statt in der Burggasse forderte. Und 1983 bewiesen mein Projekt und das von Wilhelm Holzbauer, dass die Otto-Wagner-Brücke über das Wiental trotz neuer Trassenführung in Funktion bleiben konnte. Die Wettbewerbsaufgabe hatte ihren Abbruch oder allenfalls ihre Erhaltung als freistehendes Denkmal vorgesehen, die Trasse sollte über eine neue Brücke weiter östlich, flussabwärts führen. Realisiert wurde das Holzbauer-Projekt, das im Unterschied zu meinem die anschliessenden neuen Trassenteile in Otto-Wagner-Manier imitierte. Die Diskussion und Lösung dieser Frage beendete übrigens die Ära der Geringschätzung von Wagners Stadtbahnbauten durch die Wiener Amtsplanung. 

Boutique Mischa

Kantine Funkhaus

Trinity College, de Blacam & Meagher

Haus Nagiller, Adolf Krischanitz

Traisenpavillon St. Pölten, Adolf Krischanitz

arbeitsgruppe 4

Kleines Café

1 Hermann Czech, «Ugefähre Hauptrichtung», in: Marcel Meili, Markus Peter 1987-2008, Zürich 2008, S. 434-441, hier S. 434.

2 Wolfgang Mistelbauer / Klaus Pinter, Arkadische Zeichen. Annäherungen zu Sport – Architektur  – Kunst; Beiträge von Burghart Schmidt, Georg Schöllhammer und Christoph Ulf, Wien 1991, S. 56.

3 Hermann Czech, Die Stadtbahn wird unterschätzt; in: Die Furche, Wien, 20/1963, S. 9-10.

4 Friedrich Achleitner, Franks Weiterwirken in der neueren Wiener Architektur; in: Umbau, Wien, Nr. 10, August 1986, 121-131, hier S. 126.

5 Hermann Czech, Ins Auge sehen, in: Zur Abwechslung 1996, S. 128-130, hier S. 130.

6 Hermann Czech, Kann Architektur von der Konsumtion her gedacht werden?, in: Ungefähre Hauptrichtung. Schriften und Gespräche zur Architektur; Wien 2021, S. 93-101, hier S. 101.

7 Hermann Czech, Plan und Bild. Mögliche Rollen im Entwurfsprozess; in: Ungefähre Hauptrichtung 2021, S. 113-116, hier S. 116.

8 Ebd.

Moroder: Wie haben Sie sich entschlossen hauptsächlich alleine zu arbeiten? In den 1960ern und frühen 1970ern war es ja durchaus gängig in Wien als Gruppe zu agieren. 

Czech: Die «visionären» Gruppen hatten aber einen anderen Hintergrund als etwa die arbeitsgruppe 4 oder die durch Wachsmann initiierte Hochschätzung der Teamarbeit. Angeregt durch letztere habe ja auch ich mit Wolfgang Mistelbauer und Reinald Nohal 1961 beim Restaurant Ballhaus begonnen. Mit Mistelbauer und Klaus Bolterauer habe ich in den 1960ern eine Boutique gemacht. Die ist nicht in der Ausstellung gewesen. (sucht einen Ordner und blättert das Projekt auf) Das ist das Innere und das Portal der Boutique. Das war damals ziemlich cool. Da war eine Installationsstange, wo Spots für die Auslage befestigt waren. Nach der Erfahrung von Konrad Wachsmanns Seminaren waren wir von der Sinnhaftigkeit der Teamarbeit überzeugt, aber es kam nicht zur kommerziellen «Gründung» einer Gruppe mit Markennamen. 

Moroder: Im Sekretariat der Ausstellung lagen Ihre Schriftbände Zur Abwechslung und Ungefähre Hauptrichtung auf; den letzteren Titel trug ja auch die Ausstellung selbst… 

Czech: Das sind jeweils Titel von einem Aufsatz aus dem betreffenden Buch. Ungefähre Hauptrichtung war ein Beitrag zu einer Werkmonographie von Marcel Meili und Markus Peter, in dem es zu Beginn heisst: «Vieles, was ich da sehe und begreife, hätte ich auch so machen wollen; manches, das ich anders gemacht habe, muss ich im Vergleich als Umweg erkennen«, deshalb «versuche ich aus den eigenen Motivationen einen begrifflichen Raster zu errichten, um einige ausgewählte Arbeiten von Meili und Peter damit zu verschneiden.»1 Das war ja auch eine Struktur der Ausstellung, Gedankengänge zu verfolgen. 

Moroder: Sie haben von Anfang an geschrieben. Wie ist es damals dazu gekommen, dass neben dem Entwerfen auch das Schreiben über Architektur für Sie so zentral wurde? Sehen Sie eine Beziehung zwischen Entwerfen und Schreiben? 

Czech: Das hat mich immer interessiert. Ich wollte immer Entwurf und Sprache zusammenbringen, sowohl Form sprachlich analysieren – als auch sprachlich Formuliertes in Form überführen. Da gibt es ein Zitat von Wolfgang Mistelbauer, «dass es dazu noch so etwas wie bildnerisches Denken gibt, ein Denken in nichtverbalen Zusammenhängen, eine innere ‚Logik’ der Formen, des Raumes. Das kann man natürlich auch verbal beschreiben, aber das wäre eine Übersetzung in eine Fremdsprache.»2 Ich meine, dass er nicht Unrecht gehabt hat, dass es dann doch eine Schranke zwischen dem Verbalen und der Form gibt. Aber Beziehungen gibt es eben auch. Schon einmal Assoziationen: Wenn man die nicht mitdenkt beim Entwurf, dann passiert es einem halt, dass etwas irgendwie ausschaut, an was man selber nie gedacht hat und der andere sagt: «Hörst du, das schaut ja aus wie das und das.» Und dann denkst du: Ach so, das habe ich gar nicht wollen, oder so. (lacht) 

Moroder: Und wie sind Sie dazu gekommen, in den frühen 1960ern Architekturkritik zu schreiben? 

Czech: Friedrich Achleitner hat laufend für Die Furche geschrieben und dann auch angefangen, für Die Presse zu schreiben, sogar unter einem Pseudonym. Mein erster publizierter Artikel war über Otto Wagners Wiener Stadtbahn, schon mit dem Gedanken an die Furche geschrieben – sonst waren ja nicht so viele Publikationsmöglichkeiten. Den Text hab ich dem Achleitner zum Lesen gegeben, der hat ihn gut gefunden und ihn der Furche empfohlen. Er erschien 1963.3

Moroder: Und Sie begannen dann aufgrund des Artikels regelmässig für Die Furche zu schreiben? Konnten Sie da die Themen wählen, oder wurden diese Ihnen zumindest nahegelegt? 

Czech: Die Anlässe und Themen ergaben sich immer von mir aus. 

Moroder: Achleitner hat 1985 über das Restaurant Ballhaus geschrieben, dass Nohal, Mistelbauer und Sie Verfahren aus der Literatur, Collage und Montage, für den Entwurf angewendet haben… 

Czech: Ja, er schrieb, dass etwas verschiedene Ebenen haben kann. Etwas kann ernst gesagt sein und auch so gemeint sein, es kann aber auch ironisch gemeint sein.4 Diese Ebenen gibt es bei der Form auch. Oder dass man etwas imitiert. – Übrigens kann man auch imitiert werden. Ich habe gestern eine ganze Serie an Bildern einer Kantine im Wiener Funkhaus bekommen. Ich erinnere mich dunkel, schon vor Jahren hat mich jemand angesprochen, was ich da im Funkhaus gemacht hätte. Ich habe aber nie etwas im Funkhaus gemacht. Da ist einiges wörtlich imitiert, manches nicht ganz genau angeschaut. Die bauen das jetzt dort ab, weil sie den ganzen Rundfunk ausräumen. Und jetzt stellt sich die Frage, ob das von mir ist. (lacht) 

Moroder: Das wäre ja nicht das erste Mal, dass Ihnen das passiert. 

Czech: So wörtlich ist es noch nie passiert. 

Moroder:: Es ist verblüffend, dass das nie wahrgenommen wurde. Der Bezug ist ja offensichtlich. 

Czech: Ja vielleicht haben viele Leute geglaubt, ich habe das gemacht. Das ist durchaus möglich. 

Moroder: Wie charakterisiert sich für Sie eine Kopie in der Architektur? 

Czech: Bauen beruht wie alle Tätigkeit grundsätzlich auf Erfahrung und Übernahme von Erkenntnissen und Lösungen. Das ist der Sinn des Begriffs «Tradition». Wenn man nichts nachmachen dürfte, könnte man keine Stiege und keine Tür machen. Wenn jemand das Bar-Profil der Wunder-Bar nachbaute, fand ich das fortschrittlich und in Ordnung. Komplexer wird es, wenn es um den Versuch geht, Anmutungen, «Atmosphären», also Stilelemente als solche zu übernehmen. Aber auch Eklektizismus, also einen Stil «anzunehmen», kann ein brauchbares Mittel im Entwurfsprozess sein, kann zum Beispiel Assoziationen liefern, die anders nicht erreichbar wären. Eklektizismus kann aber nicht die wesentliche Quelle architektonischer Qualität sein. 

Moroder: Wie finden Sie es, wenn Sie kopiert werden?

Czech: Man ist eigentlich überrascht, dass man kopiert werden kann. Das hätte ich mir gar nicht vorstellen können. 

Moroder: Da gibt es eine spannende Parallele zur Loos-Bar im Trinity College in Dublin, die dort 1984 von de Blacam & Meagher eingebaut wurde. 

Czech: Ja, aber das ist ein dezidiertes Zitat, das man als solches erkennen soll. Es ist im dritten Stock, was schon eine Zumutung ist. Die haben aber einen wirklichen Fehler gemacht: Auch über dem Eingang ist ein Spiegel, den Loos natürlich vermieden hat: Dort kann die Raumillusion nicht funktionieren, da ist man ja gerade hereingekommen. 

Moroder: Aber man sieht dort auch, dass eine direkte Übersetzung nicht funktioniert. Davon abgesehen, dass zum Beispiel die Holz- und Marmoroberflächen gemalt sind, stimmt der obere Bereich mit den Spiegeln räumlich nicht mit dem unteren Barbereich überein. 

Czech: Es ist im Grunde seitenverkehrt. Aber auf die räumlich unterschiedlichen Bedingungen einzugehen, ist auch wieder berechtigt. – Ich weiss nicht, ob ich Ihnen das schon erzählt habe: Hollein hat doch diesen Siemens-Umbau gemacht in München. Er hat mich damals gefragt, ob ich nicht in einen der Pavillons die Loos-Bar reinmachen will. Und das war mir irgendwie zu blöd, weil – die Loos-Bar ist es ja doch nicht und was soll das? 

Moroder: Das Haus Nagiller von Adolf Krischanitz – damals noch zusammen mit Otto Kapfinger – von 1982 weist auch eine Nähe zu Ihrer Architektur auf. Es wurde knapp nach Ihrer Villa Pflaum und dem Haus M. fertiggestellt. Da gibt es auch immer wieder Verwechslungen, dass es von Ihnen sein könnte. 

Czech: Na ja, ich glaube gar nicht, dass er das vordergründig von mir hat. Ich habe das eher als Verarbeitung der gleichen Einflüsse verstanden. Er hat eben auch an Loos oder die Zwischenkriegszeit angeknüpft. Wir haben das beide sozusagen aus gleichen Vorbildern gewonnen. 

Moroder: Diese Anlehnungen findet man später nicht mehr bei ihm? 

Czech: Krischanitz hat später eine Wende vollzogen. Er hat Ende der 1980er Jahre in St. Pölten den Traisenpavillon gebaut, einen Kunstraum, bestehend aus einem grossen Rundbau neben einer hohen Scheibe. Damit hat er einen Abstraktionsschritt vollzogen, wie soll man sagen, mehr zu «coolen», rein geometrischen Objekten. 

Moroder: Um 1990 scheint es nicht nur bei Krischanitz, sondern generell eine Verschiebung in der Architektursprache vieler Protagonistinnen und Protagonisten der sogenannten «Little Architecture» gegeben zu haben, die sich fortan weniger historisch orientierten. 

Czech: Diese Variationen scheinen mir weniger interessant als die Gegensätze der Zeit davor: Die 1970er- oder 1980er-Jahre sind ja in Österreich gekennzeichnet von einer Kontraposition, die ich ganz gern vergleiche mit der Kontraposition von Loos und Hoffmann. Im Unterschied zu 1900 waren aber die Positionen nicht gleichwertig vertreten. Die arbeitsgruppe 4 oder Johann Georg Gsteu, Gunther Wawrik, Hans Puchhammer, Ottokar Uhl, die sind ja alle medial abgestunken gegenüber Hans Hollein, Günther Domenig, Raimund Abraham und so weiter. Und das im historischen Blick bis heute. Ich habe kürzlich einen Vortrag in London gehalten und habe eben diesen österreichischen Nachkriegs-Gegensatz mit dem Gegensatz zwischen Loos und Hoffmann verglichen. Ich habe acht oder zehn Bilder gezeigt von der arbeitsgruppe 4, also speziell von Johannes Spalt und Friedrich Kurrent, auch im Team mit Johann Georg Gsteu, und deren Position mit jener der Smithsons in England verglichen, in der Rolle einer Kritik und Auflösung der Moderne. Kenneth Frampton war bei diesem Vortrag und hat mir nachher gesagt, er hätte diese Bilder der arbeitsgruppe 4 noch nie gesehen. 

Moroder: Ja, aus einer Wiener Architekturperspektive ist das unglaublich. 

Czech: Deren Handicap war, dass sie nicht Englisch konnten. Die waren sogar 1955 bei einer CIAM-Sitzung dabei. Da gibt es ein Foto im arbeitsgruppe 4-Buch vom Architekturzentrum Wien, auf dem sie in der zweiten Reihe am Tisch sitzen, aber sich eben kaum verständigt haben mit denen. 

Moroder: Ist die Wiener Postmoderne anders als die internationale Postmoderne? Wie sehen Sie da den Unterschied? 

Czech: In Österreich war eigentlich schon um 1900 eine differenzierte Auffassung der Moderne angelegt. Man kann ja die Postmoderne-Kriterien von Charles Jencks schlüssig mit Bildern von Wagner, Loos und Frank illustrieren, was ich einmal gemacht habe.

Die Postmoderne wird ja sehr verengt wahrgenommen und kritisiert. Typisch dafür war eine grosse Ausstellung im Londoner V&A 2011. Im Katalog ist alles drin, was je an der Postmoderne kritisiert wurde, also alle formale Charakteristik. Aber im Grunde gehören ja zur Postmoderne schon die Smithsons, oder eben die arbeitsgruppe 4. Die haben einerseits informiert über die Moderne, die durch den Nationalsozialismus entstehende Lücke überbrückt und durch Forschungen dokumentiert, aber zugleich die dogmatische Moderne überwunden. 

Moroder: Seit mehr als zehn Jahren gibt es eine Tendenz in der Architektur, die unter dem Begriff der Neo-Postmoderne gefasst wird. Wie unterscheidet sich diese von der internationalen Postmoderne? 

Czech: Ach so? Den Ausdruck habe ich eigentlich nicht gegenwärtig. Unter «Neo-» erwartet man eher eine längere Distanz. Also ich verstehe unter Postmoderne nicht so sehr bestimmte formale Anknüpfungen. Paolo Portoghesi hat 1980 die flotte Formulierung «Ende der Prohibition» gefunden. Also das ist eher eine Erweiterung. Ich finde ja dieses Bashing der Postmoderne, zum Beispiel von Seiten des Dekonstruktivismus, besonders lächerlich. Wenn irgendetwas zur Postmoderne gehört, dann ist es der Dekonstruktivismus. Generell, wenn wir eine andere Einstellung zur Moderne haben als 1920 möglich war, dann ist alles, was heute geschieht, oder zumindest alles, was relevant ist, postmodern. Aber natürlich kann man da jetzt gewisse Strömungen herauslesen. 

Moroder: Von den 1950ern bis in die 1980er gab es eine Phase der kritischen Rekuperation der Leistungen der Wiener Moderne in unterschiedlichen Disziplinen, die vielleicht mit Holleins Ausstellung Traum und Wirklichkeit von 1985 kulminiert. Auch Ihre schriftlichen sowie architektonischen Arbeiten lassen sich da einordnen. Zum Beispiel ist das Kleine Café eine Neuinterpretation oder eine Übersetzung der Loos-Bar… 

Czech: Ich würde das als Verwendung bezeichnen. Ich wollte ja nicht die Loos-Bar rekapitulieren, sondern ich habe bestimmte Elemente auf die ganz andere Situation im Kleinen Café angewendet. Also diese Exaktheit der Spiegelbilder, zum Beispiel dass die Lampenpaare so angeordnet sind, dass sie mit ihren Spiegelbildern Quadrate ergeben. Das geht über Loos hinaus und ist eher inspiriert von Wachsmann. Diese modulare Betrachtung ist bei Loos auch da, aber um das weiterzuverfolgen in andere Zusammenhänge, da ist die Erfahrung mit Wachsmann erforderlich. 

Moroder: Könnten Sie näher ausführen, inwiefern Wachsmann dazu erforderlich ist?

Czech: In eines dieser Spiegelfelder sind später die WC-Türen hineingesetzt worden, also trat eine reale Öffnung an die Stelle der gespiegelten. Die musste ausserdem höher sein, der Sturz wurde also bogenförmig statt durchhängend. Aber in diesem Sturz mussten nun tatsächlich vier reale Glühbirnen stecken! Und eben das fällt niemandem auf, der nicht darauf hingewiesen wird. Die Modularkoordination ins Virtuelle und wieder zurück zu verfolgen, scheint mir ein späterer Abstraktionsschritt zu sein. Aber vielleicht wäre das auch Loos eingefallen, der ja schliesslich das Schachspiel im Kubus vorausgesagt hat. 

Moroder: Anfang der 1980er wird Wien von der Forschung sowohl als Geburtsstadt der Moderne als auch der Postmoderne gesehen. Im Laufe des Jahrzehnts wird diese Auffassung einerseits demontiert, andererseits aber werden die Leistungen der Wiener Moderne für den Tourismus entdeckt. 

Czech: Das habe ich beschrieben: «Der Tourist sieht die Architektur, wenn sie restauriert ist, und die Beisl-Kultur, wenn’s draufsteht. Und der informierteste Tourist ist der Stadtbewohner selbst.»5 Überhaupt der Ausdruck «Beisl». Das ist ja ein rein touristischer Ausdruck. Den hat früher kein Mensch im Ernst für ein Lokal verwendet. Das war höchstens negativ, wenn man «Tschoch» oder «Beisl» verwendet hat, im echt abfälligen Sinn. 

Moroder: Hatte die Entdeckung der Architektur der Wiener Moderne für den Tourismus einen Einfluss auf Ihre Arbeit? 

Czech: Eher den einer grösseren Genauigkeit, was die Komplexität von Rekonstruktionen wie die des Loos-Bar-Portals oder die von Ernst Plischkes Arbeitsamt betraf, um eben die aufkommenden Missverständnisse zu entwirren. 

Moroder: Also nicht auf Ihre Architekturentwürfe? 

Czech: Wenn man die touristische Wahrnehmung breiter – als Konsumtion von Kulturindustrie im Sinne Adornos – versteht, wird zugleich einsichtig, dass auf sie einzugehen bedeutet, auf genuine Kommunikation zu verzichten und das Publikum zu manipulieren. «Den Konsumenten als Mittel betrachten, heißt ihn auf niedrigeres Niveau stellen.» – Aber könnte man aus dem dafür verwendeten Material auch ein kritisches Entwurfspotential gewinnen? «Ist es selbst in solchem Zusammenhang möglich, den Rezipienten nicht als bloßes Mittel, sondern als Adressaten einer Wahrhaftigkeit, und sei es einer zynischen, zu setzen?»6 Der Entwurf als Prozess, als zeitliche Reihe von Entscheidungen ist jedenfalls nicht von seiner Konsumtion, sondern von seiner Produktion her zu denken. Er wendet sich an die Freiheit des Benutzers oder der Betrachterin. 

Moroder: Die Forschung zu Ihrer Arbeit hat sich bisher noch nicht mit Ihrem Buchdesign auseinandergesetzt. Wie gestalten Sie ihre Bücher? Es ist interessant, dass Sie zum Beispiel bei den Schriftbänden Zur Abwechslung in der ersten (1977) und zweiten Auflage (1996) sowie in Ungefähre Hauptrichtung (2021) das gleiche Layout übernehmen. 

Czech: Beide sind Sammlungen von Texten, die sich fallweise in Aktualität, Theoriegehalt oder Verbindlichkeit unterscheiden. Deshalb der Wechsel zwischen zwei- und dreispaltigem Umbruch auf einem nahezu quadratischen Seitenformat. Nur wenige Grafiker sind da eine Hilfe. Die meisten wissen nicht, wie man seit 200 Jahren mit Büchern arbeitet, können in diesem Sinn nicht lesen (er holt ein Buch…schlägt seinen Artikel in einem Katalog auf): Da unten nach dem Bild ist die Seite leer – der Artikel ist aus da, oder? Ja. (blättert um) Ach so, nein, er geht weiter. Aber da ist er jetzt…: Ach so, nein, da geht er auch weiter. So, dann schauen wir… (blättert um) Ach so, jetzt war er wirklich aus… Das kann man beim Karl Kraus lesen, dass man eine Seite oder eineinhalb vorher sehen sollte, wo der Artikel aus ist. Nur ein Beispiel dafür, was Grafiker – und Grafikerinnen – nicht wissen, wie vieles andere. 

Moroder: Apropos Karl Kraus: es gibt interessante Forschungen zu seinem Arbeitsalltag, zu den täglichen Kaffeehausbesuchen und dem Schreiben in der Nacht… Wie sieht denn ihr Arbeitsalltag aus? 

Czech: Manchmal ähnlich; aber ich weiss nicht, ob das besonders interessant ist…(lacht). Also mancher Arbeitsalltag ist, dass ich in der Nacht den Schlüssel in der Tür stecken lasse und dann ruft der Herr Flora in der Früh an, dass er nicht reinkommt. Dann komme ich im Schlafrock raus, und mache ihm die Türe auf. 

Moroder: Aber wie Kraus pflegen Sie die Kaffeehauskultur. Wenn man Sie sehen möchte, dann kann man auch einfach ins Kleine Café gehen und dort auf Sie warten.  

Czech: Das ist keineswegs die Regel und kein sicherer Tipp. 

Moroder: Wie ist Ihre Bürostruktur? 

Czech: Eine Einzelkanzlei ist wohl immer hierarchisch strukturiert, insofern die Entwurfsentscheidungen von der Atelierleitung getroffen werden. Die trägt ja auch die kommerzielle Verantwortung; wer da mitarbeitet, beteiligt sich ja nicht an Verlusten. Die Entwurfsentscheidungen kommen aber durch Beiträge aller Beteiligten zustande; nur die Beurteilung erfolgt zentral. – Eine andere Struktur ist die Zusammenarbeit mehrerer solcher Ateliers, in der Entscheidungen jeweils auf einem Konsens beruhen, was nicht immer leidensfrei ist. Wir haben eben ein solches Wettbewerbsprojekt abgeschlossen. 

Moroder: Hat sich Ihre Arbeitsweise über den Computer verändert?

Czech: Zu dieser Frage möchte ich zwei Absätze aus einem Artikel von 2013 zitieren: 

«Meine und die nächste Generation haben nicht mit dem Computer zeichnen gelernt. (Fritz Kurrent, noch ein wenig älter, sagt: Was wollen Sie, ich bin ein Architekt des zwanzigsten Jahrhunderts.) Wir sind darauf angewiesen, in den intensivsten Entwurfsmomenten Mitarbeitern zuschauend zu vermitteln, was wir meinen, können die erforderlichen Schritte meist nicht nachvollziehen, und müssen zur Wahrnehmung des Ergebnisses bitten, das Zappen zwischen den Massstäben zu unterlassen.»7 

Im selben Artikel hiess es aber auch:

«Computerprogramme können in der Generierung von Form weiter gehen als die jeweilige räumliche Vorstellung; diese wiederum kann mit diesem Hilfsmittel ihren Erfahrungsbereich ausdehnen, was auch eine bereicherte Raumwahrnehmung erwarten lässt. Freilich führen diese Erweiterungen nicht — wie von manchen erwartet — in ein neues Weltbild, oft dagegen in triviale Ornamentik.»8 

Moroder: Das Thema Umbau ist in aller Munde und Sie haben da schon sehr früh in den 1970ern eine wichtige Position dazu entwickelt, die sich in Ihrem von Holleins «Alles ist Architektur» abgeleiteten Satz «Alles ist Umbau» konzentriert. Wie sehen Sie die gegenwärtigen Umbau-Debatten? 

Czech: Wenn man jetzt aus ökologischen oder Klimaschutzgründen sagt, man soll womöglich nichts mehr neu bauen und alles verwenden, was wir schon haben, könnte man das als Notlösung oder als Einschränkung sehen. Neuerdings weise ich eben mit dem Hintergrund meiner Umbau-Thematik darauf hin, dass es im Gegenteil immer schon eine kulturelle Verarmung bedeutete, etwas Bestehendes unnötigerweise zu entfernen. Dass der Umbau nicht etwas Minderes ist, sondern als Ergebnis ein vollgültiges Werk sein kann, hat Adolf Loos in die Moderne eingeführt; aber wir finden es schon bei Palladio und in früherer Geschichte. Für die Architektur ist es also ein Gewinn, wenn ich einen weiteren Grund habe, etwas stehen zu lassen, weil es in jedem Fall eine zusätzliche Ebene der Information, der Rezeption darstellt. Selbst wenn es von damals her gesehen inferior war, kann es zumindest charakteristisch sein.

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19.10.2022Fala

Fala meets Siza

Fala and Álvaro Siza are bound by origins but separated by age. In a personal encounter, the 89-year-old Pritzker Prize winner talks about that which is still reflected in Fala's own work today. lesen
22/06
Fala meets Siza
Artikel 22/05
22.9.2022Anna Beeke

Trailer Treasures

Within mobile home parks, Anna Beeke encounters a clear desire for individualized place. In her photographs she shows how prefabricated units are the same, but different. lesen
22/05
Trailer Treasures
Artikel 22/04
20.8.2022Mario Rinke

Offene Meta-Landschaften

Mario Rinke plädiert für Tragwerke, die nicht für eine Nutzung, sondern aus dem Ort heraus erdacht werden. In diesen Meta-Landschaften können sich Architekturen episodenhaft ereignen. lesen
22/04
Offene Meta-Landschaften
Artikel 22/03
1.7.2022Virginia de Diego
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Reductio ad absurdum

Through deliberate destruction a former bunker can be preserved. Its relevance is created out ouf its absurdity. lesen
22/03
Reductio ad absurdum
Artikel 22/02
1.7.2022Jerome BeckerMatthias Moroder

The balance of chaos and structure

In conversation with Jerome Becker and Matthias Moroder, Marc Leschelier emphasises his aversion to functionalism and stresses the importance of architecture as a form of expression. lesen
22/02
Chaos and Structure
Artikel 22/01
1.7.2022Gerrit Confurius
Teatro di Marcello, Rom, Giovanni Battista Piranesi (1720-1778), ca. 1757

Permanenz als Prinzip

Gerrit Confurius erinnert sich an das Ende der gedruckten Ausgabe von Daidalos und empfiehlt das Prinzip der Permanenz als Strategie auch für die zukünftigen Aufgaben der Architektur. lesen
22/01
Permanenz als Prinzip