Case come noi

Munthe, Fersen und Malaparte auf Capri

«Auf der Insel Capri lebten drei Narzissten, von denen jeder ein Haus auf einer Felsenspitze baute. Es waren Axel Munthe, Jacques Adelswärd-Fersen und Curzio Malaparte. Alle drei waren Schriftsteller mit einem starken Drang zur Selbstdarstellung. Alle waren mit einer gehörigen Dosis nordischer Sensibilität ausgestattet. Und alle strebten danach, ihre Persönlichkeit durch die Architektur zu entfalten. Daher waren ihre Häuser Demonstrationen der Selbstverliebtheit – Traumhäuser, in denen sie leben, lieben und künstlerische Wunderwerke schaffen wollten und die trotz des idyllischen Rahmens von einer morbiden Atmosphäre geprägt waren, ähnlich jener von Böcklins Toteninsel.»

Bruce Chatwin: Der Traum des Ruhelosen, München/Wien 1996.

Capri ist eine Insel im Golf von Neapel mit einer Grösse von zehn Quadratkilometern. Ein 590 Meter hoher Berg, der Monte Solaro, gliedert sie in zwei Teile mit zwei Orten: Im Osten unterhalb des Steilhangs liegt Capri, am Wasser mit zwei Häfen, der Marina Grande im Norden und der Marina Piccola im Süden und im Westen, auf dem Berg liegt Anacapri, das keinen eigenen Zugang zum Meer hat. Noch unter griechischer Besiedelung entsteht im 5. Jahrhundert vor Christus eine steile Felstreppe, die Scala Fenicia, die Anacapri mit der Marina Grande verbindet. 1877 wird eine Strasse gebaut.

Der schroffen Schönheit der Insel verfallen ist zum ersten Mal Kaiser Tiberius. Schon sein Stiefvater Kaiser Augustus mochte die Insel und hatte sich hier unweit der Marina Grande einen Palazzo al Mare bauen lassen. Tiberius aber lässt sich hier nieder, 27 nach Christus, für elf Jahre bis zu seinem Tod. Und er lässt sich gleich zwölf Villen bauen, für jeden Monat des Jahres eine, jede benannt nach einer olympischen Gottheit. Die dem Göttervater Jupiter gewidmete Villa Jovis liegt an der östlichsten Spitze der Insel, dem Festland am nächsten, auf einem 300 Meter hohen Felshang. Sie wird in den 1930er Jahren ausgegraben, ist heute die am besten erhaltene und wird von einer Bronzefigur der Madonna del Seccorso bewacht.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird die Abgeschiedenheit Capris, die schon Tiberius so schätzte, erneut zu einem grossen Reiz – nicht mehr nur für einen Einzelnen, sondern gleich für zahlreiche Künstler, Philosophen und Touristen, bevorzugt für solche, denen die Konventionen und Gesetze auf dem Festland Europas zu eng und einschränkend sind. Zwei der drei auf Capri lebenden und von Bruce Chatwin als Narzissten bezeichneten Schriftsteller, Axel Munthe und Jacques Adelswärd-Fersen, bauen sich ihre Häuser um 1900. Munthes Haus ist eine Bricolage. Vorgefundenes wird weitergebaut, ergänzt, überformt, integriert, Spolien aus allen Jahrhunderten hinzumontiert. Fersens Villa ist eklektizistisch und repräsentativ, sie thront am Hang über dem Garten, ihr versuchter Klassizismus gerät zum Kitsch.

Einer der drei von Bruce Chatwin als Narzissten bezeichneten Schriftsteller, Curzio Malaparte, baut sein Haus einige Jahrzehnte später Ende der 1930er Jahre. Malaparte ragt nicht nur als Schriftsteller künstlerisch heraus, er schafft mit seinem Haus auch etwas vollkommen Neues und bis heute uneingeschränkt Bewundertes.

Wenn wir Chatwin Glauben schenken und die Architektur der drei Häuser Entfaltung und Ausdruck der jeweiligen Persönlichkeit des Bauherrn ist, dann sind Munthe, Fersen und Malaparte drei sehr unterschiedliche Geister. Die Häuser sind Selbstdarstellungen, «Demonstrationen der Selbstverliebtheit» und folgerichtig ist für keines der Häuser ein Architekt federführend. Die Inszenierungsstrategie für das eigene Ich überlässt kein Künstler einem anderen Künstler, jedenfalls hier auf Capri nicht. Die Häuser bringen zum Ausdruck, wie Munthe, Fersen und Malaparte ihr künstlerisches Schaffen und ihre gesellschaftliche Rolle begreifen, wie sie sich im kulturellen Kontext verorten – und wie sich in der Landschaft Capris verorten.

Axel Munthe (1857-1949),

in Schweden geboren, kommt als knapp Zwanzigjähriger zum ersten Mal nach Capri und in der Folge immer wieder. Er arbeitet als Arzt in Stockholm, Paris, London, Rom und Neapel, behandelt hier nervenschwache Aristokratinnen und dort Dutzende todkranke Cholerainfizierte. Munthe heiratet, die Ehe scheitert (eine weitere wird auch scheitern), er betreibt eine Praxis in Rom in bester Lage, wird Leibarzt der schwedisch-norwegischen Kronprinzessin Viktoria, der späteren Königin von Schweden – die Beziehung ist innig und dauert bis zu ihrem Tod 1930 – und kauft 1895, noch in Rom praktizierend, in Anacapri ein altes Haus auf dem Capodimonte mit bester Aussicht auf den Golf von Neapel.

Das zweigeschossige Gebäude mit Werkstatt, ein einfacher Baukörper wie ein Backstein, gehörte zuvor dem Tischlermeister Vincenzo Alberino. Es steht an einem terrassierten, mit Weinreben und Obstbäumen bepflanzten Hang, in etwa fünfzig Metern Distanz in Richtung Osten befindet sich ein Pulvermagazin auf den Resten einer dem Erzengel Michael geweiht gewesenen Kapelle. Munthe erwägt zunächst, die Kapelle San Michele zum Wohnen wiederherzustellen; er ist der Überzeugung, sie sei einst ein Tempel der Isis innerhalb einer Tiberius'schen Villenanlage gewesen, widmet sich dann aber doch dem weitaus besser erhaltenen Haus des Tischlers. Nach zwei Jahren ist der erste, das Volumen nach Nordosten verlängernde Ausbau fertig. Das Erdgeschoss mit Küche und Speisezimmer hat einen direkten Eingang am abfallenden Hang im Norden, wohin später auch die Strasse verlegt wird, die anfangs noch mitten über das Grundstück führt. Von der ansteigenden Hangseite im Süden gibt es einen weiteren Zugang über einen abgesenkten Vorhof. Im Obergeschoss befinden sich Munthes Schlaf- und Arbeitszimmer, in Richtung Nordosten gibt es eine offene Skulpturengalerie mit Arkaden und nach Südwesten eine Terrasse mit Pergola. Diese wird im nächsten Bauabschnitt geschlossen, wodurch der ohnehin schon lange Baukörper um eine Raumachse auf gut 38 Meter Länge erweitert wird. Im dann endgültigen Ausbau wird neben der Proportion auch die Silhouette verändert und die Mittelachse durch einen mehr oder weniger zentral platzierten Aufbau für Gästezimmer überhöht. Die Raumstruktur ist naturgemäss kein grosser Wurf, sondern durch das Weiterbauen des Vorhandenen leicht labyrinthisch und in der Ausführung mit gewölbten Decken typisch capresisch. Die Fassaden behalten ihren ursprünglichen Ausdruck zu jedem Zeitpunkt des Umbaus; der Anteil an Öffnungen in der weiss verputzten Wand ist gering, im Erdgeschoss gibt es zwei sehr schlanke Türöffnungen und wenige quadratische Fenster, im Obergeschoss im Bereich der Galerie gleichmässige Bogenöffnungen und in den Wänden kleine Zwillingsfenster. Die Attiken der Flachdächer tragen weisse Zinnen in Karniesbogenform, das Ganze lässt, trotz des strahlenden Weiss', an eine Festung aus der Zeit der Überfälle der Sarazener denken.

In Richtung Nordosten schliesst im Obergeschoss an die halboffene Skulpturengalerie eine Pergola aus kräftigen weissen Säulen mit Holzbalken an. Sie folgt oberhalb einer Böschungsmauer der leicht gekurvten Höhenlinie des Geländes und der Grundstücksgrenze. Über hundert Säulen, wie Munthe schreibt, sind es nicht, eher gut dreissig, aber sie münden unterhalb der Kapelle San Michele, die allem den Namen gibt und oberhalb der Scala Fenicia in ein Halbrund mit unerreichter Aussicht. Die Kapelle wird von Munthe eigenartig asymmetrisch aufgebaut mit einer L-förmigen Loggia in Richtung Nordosten und Südosten, aus der heraus der Blick geschützt in Richtung Golf, Capri und Marina Grande fällt. Die beiden Fassaden mit hohen Drillingsöffnungen aus gestelzten Bögen mit schlanken Knotensäulen, eingefasst in Blendbögen, sind das Gesicht von San Michele. Der in der Ecke auf der Brüstungsmauer liegende Sphinx, zuerst ein geflügelter aufrecht sitzender etruskischer, wenig später und bis heute ein liegender ägyptischer, schaut herab in seiner androgynen Rätselhaftigkeit und schweigt, weil es für die Schönheit der Landschaft ohnehin keine Worte gibt. Den Kapelleninnenraum nutzt Munthe als Bibliothek und Musikzimmer.

1 Axel Munthe: Das Buch von San Michele, Leipzig 1931.

2 In Hans Vollmer (Hg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1935 wird Sartorio (1860-1932) als der Architekt des Hauses genannt. Er ist allerdings kein Architekt, sondern Maler.

3 Amori et Dolori Sacrum. La mort de Venise lautet der Titel eines Reiseberichts des französischen Schriftsteller Maurice Barrès. Der Text erschien 1903 in Paris.

Villa Lysis

Munthe schreibt später: «Ich hatte keine Ahnung von den Gesetzen der Baukunst, ebensowenig wie meine Mitarbeiter. Kein Mensch, der lesen und schreiben konnte, hat an den Bau je mit Hand angelegt; kein Architekt hat mich je beraten. Weder wurde jemals ein Plan oder Grundriss entworfen noch irgendwelche Vermessungen vorgenommen. Alles entstand 'all' occhio', wie Mastro Nicola sagte.»1 Dem Augenmass ein wenig nachgeholfen hat eventuell der Maler Giulio Aristide Sartorio, den Munthe in Rom kennenlernt und der gelegentlich mit nach Capri kommt. Für den Bau beschäftigt Munthe einheimische Maurer und Baumeister, die in Haus und Garten für capresische Tradition sorgen.2

Munthe kauft sukkzessive auch die das Haus umgebenden Grundstücke bis hinauf zum Castello Barbarossa auf dem im Süden ansteigenden Hang. 1901 gibt er seine Praxis in Rom auf und zieht ganzjährig nach Capri. Ein Jahr später kauft er die Torre di Materita, einen Wehrturm aus dem 14. Jahrhundert, zwei Kilometer südlich von San Michele, der tatsächlich gegen Überfälle der Sarazenen errichtet worden war, und der schattig gelegen ist und dunkel. Munthes Sehvermögen leidet stark unter dem hellen Licht von Capri und der Architektur seines Hauses, von der er schreibt, sie sei wie ein griechischer Tempel, offen, weiss und licht wie ein «Heiligtum der Sonne». Ein paar Jahre pendelt er, dann vermietet er San Michele, wohnt ganzjährig im schweren Torre und schreibt dort, sehr viel später, Das Buch von San Michele. Es erscheint 1929 und wird ein grosser Erfolg. Munthe, der Haus und Garten immer mit Gästen, Patientinnen und vielen Tieren, auch exotischen teilt, vermacht es schliesslich dem schwedischen Staat. Es ist seit den 1950er Jahren ein Museum und öffentlich zugänglich.

Axel Munthe ragt weder als Schriftsteller noch als dilettierender Architekt künstlerisch heraus. In beiden Disziplinen mischt er munter Wahrhaftiges, Echtes mit Unaufrichtigem, Erfundenem. Haus, Garten und Kleinarchitekturen sind im Prozess und im Ergebnis eine Bricolage aus Vorhandenem, handwerklich und formal Traditionellem und Ortstypischem und irgendwo Gesehenem, Angeeignetem und Geträumtem. Auch die vielen Figuren von Göttern und Kaisern, die Elemente und Spolien, die verbaut und platziert sind, stammen von antiken Villen, vom Meeresgrund oder von neapolitanischen Antiquitätenhändlern. Als Bricoleur jedoch ist Munthe talentiert und geistreich, er schafft es, die Elemente so zu montieren und zu verbinden, dass sie miteinander sprechen, ein Ganzes bilden und durch diese neue grössere Ordnung – und die Haus- und Gartenanlage ist gross und komplex – bedeutsam werden. Das Ergebnis ist ein eigensinniger Kosmos, überaus originell und von grosser Anziehungskraft.

Jacques d'Adelswärd-Fersen (1880-1923),

in Paris als Jacques d'Adelswärd geboren, kommt als Vierundzwanzigjähriger mit einem vom Grossvater geerbten Vermögen nach Capri. Er kennt die Insel seit seiner Jugend. Paris verlässt er nicht ganz freiwillig. Es ist nicht seine Homosexualität, die ihm in Frankreich juristische Schwierigkeiten bereitet, es ist seine Vorliebe für minderjährige Jungen. Er wird beschuldigt, in seinem Haus orgiastische Parties zu veranstalten, auf denen mitnichten nur Gedichte – d'Adelswärd schreibt und dichtet selbst – rezitiert und mythologische Szenen durch halbnackte Knaben nachgestellt werden, sondern auf denen es gegenüber diesen Knaben auch zu unangemessenem Verhalten kommt. D'Adelswärd erhält eine Freiheitsstrafe und verliert seine Bürgerrechte für fünf Jahre, was ihn veranlasst, sich noch im selben Jahr auf Capri niederzulassen. Er kauft im Nordosten der Insel in der Nähe der Ruinen der Villa Jovis ein 20.000 Quadratmeter grosses Grundstück mitten in der Landschaft und lässt sich dort ein Haus bauen.

Der Ort ist eine grosse Verheissung: weit oben auf einer Klippe mit fantastischer Aussicht auf den Golf von Neapel, Capri und die Marina Grande, das Dorf auf Distanz, Tiberius' Villa als einzige Referenz, der Wirkungsgrad in jede Himmelsrichtung enorm. Den rund ein Jahr dauernden Bauprozess begleitet er nicht kontinuierlich und reist währenddessen nach Sri Lanka, damals Ceylon, wo er Gefallen am Opiumrauchen findet. Auf dem Rückweg nach Capri begegnet er in Rom dem zehn Jahre jüngeren, also vierzehnjährigen Antonio Cesarini (1890-1943) und nimmt ihn mit auf die Insel und in sein neues Domizil. Diesem neuen Domizil gibt er zunächst den typologisch motivierten Namen Gloriette, tauft es dann aber um in Villa Lysis, nach dem von Platon in Dialogform verfassten gleichnamigen Werk, das ein fiktives Gespräch zwischen Platons Lehrer Sokrates und den beiden Knaben Lysis und Menexenos ist und von erotischer Freundschaft, Begierde und Liebe handelt. Mit der Selbstinszenierung durch Namensgebung macht er direkt weiter und nennt sich fortan Graf Fersen. Titel und Namen beansprucht er von einem entfernten Verwandten.

Die Villa, die Fersen fortan als Bühne der eigenen Exzentrik dient, ist der Versuch einer grossen Geste durch Architektur oder zumindest durch die Addition und Verfremdung bekannter architektonischer Elemente. Dominant ist eine breite Freitreppe, die zum aus dem Garten heraushobenen Hauptgeschoss hinaufführt. Die Villa ist im Grundriss zweigeteilt, die Freitreppe bedient nur die südliche Raumachse und mündet in eine von vier Säulen getragene Vorhalle. Die Säulen stehen auf sehr hohen Sockeln, haben kanellierte Schäfte, deren Furchen im unteren Bereich vergoldet sind und ionische Kapitelle von eigenartiger Üppigkeit. Das Interkolumnium der Mittelachse ist doppelt so weit wie die äusseren und in den Architrav, der eigentlich die Brüstung eines Altans ist, ist eine Inschrift eingearbeitet: «Amori et Dolori Sacrum»3, das Haus als Schrein der Lieben und des Kummers. Diese Inszenierungen wecken immerhin Erwartungen.

Es folgt eine zweigeschossige Eingangshalle mit einer dreiläufigen Marmortreppe mit Galerie, die wie ein Möbel hineingestellt ist. Auf die Halle folgt ein enger Flur mit Küche, Anrichte und Nebenräumen und einer kleinen Treppe, die hinunter ins Sockelgeschoss führt. Die zweite Raumachse wird von einem üppig dimensionierten Salon eingenommen, einen im Grundriss langrechteckigen Raum mit Exedra an der östlichen Schmalseite, überwölbt und durch vier korinthische Säulen gegliedert. Der Raum ist dreiseitig von einer wenig tiefen Terrasse umfangen. Diese Raumachse gibt es durch das nach Norden steil abfallenden Geländes noch einmal ein Geschoss tiefer, niedriger und dunkler hinter einer umlaufenden Loggia mit flachen Bögen. Hier unten richtet Fersen sich unter anderem ein sogenanntes Chinesisches Zimmer ein, in dem er seine grosse, in China erworbene Sammlung von Opiumpfeifen aufbewahrt und regelmässig nutzt. Im Obergeschoss befinden sich die Schlafzimmer, das Bad und Nebenräume; der im Grundriss basilikale Raum ist hier nach Westen gekürzt zugunsten einer Terrasse.

4 Es gibt Vermutungen, dass der französische Maler Edouard Chimot (1880-1959) an der Gestaltung beteiligt war. Chimot war Anfang des Jahrhunderts auf Capri und er hat während einiger Jahre mit Fersen korrespondiert.

5 Libera ist Teil des Movimento Italiano di Architettura Razionale, bekennt sich aber gleichzeitig zum Faschismus.Der Architekt Ernesto Nathan Rogers (1909-1969) beschreibt diesen Schulterschluss später als ein (auch eigenes) philosophisches Missverständnis: Weil die Rationalistische Bewegung den Faschismus als Revolution empfand und die Architektur der Moderne als revolutionär, müsse sie folgerichtig die Architektur des Faschismus sein.

Casa Malaparte

So wenig organisch der Grundriss konzipiert ist, so wenig fügen sich auch die Elemente im Äusseren der Villa zu einer Einheit. Die Volumen der beiden Gebäudeteile sind so gegeneinander verschoben, dass das Haus in zwei Teile zerfällt und die Terrassen voneinander getrennt bleiben. Die Brüstungen und Dachabschlüsse sind als stark profilierte Balustraden ausgebildet, Fenster gibt es in allen Formen, mit Halbrundbögen, Korbbögen, geradem Abschluss oder rund. Und auf die weiss verputzten Wandflächen sind zahlreiche Stuck-Girlanden appliziert.

Der Erste Weltkrieg trennt Fersen und seinen Lebensgefährten Antonio, genannt Nino für einige Jahre; der Jüngere dient als Soldat. Dann leben und feiern sie wieder in ihrem Elysium. Im Jahr 1923n machen sie einen gemeinsamen Ausflug nach Neapel und zurück auf Capri beschliesst Fersen den Abend, in seine bevorzugte Farbe Rosa gehüllt, in der Unterwelt seines Hauses mit Champagner und Kokain. Und verstirbt daran. Fersens Schwester erbt die Villa, Nino erhält Niessbrauchrecht, verkauft es und zieht nach Rom zurück. Das Haus wechselt die Besitzer, niemand nutzt es mehr so recht, es verfällt. In den 1990er Jahren wird es, inzwischen im Besitz des italienischen Staates, restauriert, gehört heute der Gemeinde Capri und ist öffentlich zugänglich.

Über die Beteiligung eines Architekten am Entwurf der Villa gibt es lediglich Spekulationen.4 Der tiefe Griff in die Architekturgeschichte lässt auf einiges kunsthistorisches Wissen schliessen, aber die konkrete Gestaltung auf ebenso viel Ungeschick im Umgang damit. Und auf Hybris und Eitelkeit. Die Villa Lysis ist auf äusserliche Wirkung angelegt, repräsentativ, rückwärtsgewandt, fremd und fantastisch. Trotz allem Aufwand in der Gestaltung und dem offensichtlichen Bemühen um «Klassik» bleibt sie disparat und darin «Kitsch», im Äusseren wie im Inneren, wo sie wohl nur je für die speziellen Vergnügungen ihrer Bewohner funktioniert hat. In der vergoldeten Vorhalle am Kopf der grossen Freitreppe stehend, hinunterblickend auf die Gartenterrasse mit Wasserbecken und Knabenfigur und dem dahinter steil abfallenden Hang, hatte Jacques d'Adelswärd ein Panorama von einer Schönheit, die kaum zu beschreiben ist. Wenn er sich für Männer im fortgeschrittenen Erwachsenenalter interessiert hätte und wenn gleichzeitig Axel Munthe, in der Loggia seiner Kapelle San Michele sitzend, ein gesundes Augenlicht gehabt hätte, hätten sie einander in ihren Refugien beobachten können.

Curzio Malaparte (1898-1957 ),

in der Toskana als Curt Erich Suckert geboren, Journalist und Schriftsteller, kommt 1937 zum ersten Mal nach Capri, da ist er schon fast vierzig Jahre alt und hat wegen antifaschistischer Aktivitäten nicht nur eine Gefängnisstrafe, sondern auch einige Jahre Verbannung durchgestanden. Seinen deutschen Namen hatte er 1925 durch das Pseudonym Malaparte ersetzt, den Vornamen Curzio trägt er schon länger. Es sind zwei Bekannte, die ihm die Insel zeigen: Gian Galleazzo Ciano, damals Propaganda- und Aussenminister unter Benito Mussolini (der sich später aber an dessen Sturz beteiligt und dafür hingerichtet wird) und Guglielmo Rulli, Diplomat. Im Januar 1938 kauft Malaparte ein grosses, eigentlich unbebaubares und nicht erschlossenes Grundstück im äussersten Südosten der Insel unterhalb der Via Tragara und beauftragt auf Anraten eines Freundes den Architekten Adalberto Libera (1903-1963) mit dem Entwurf seines Hauses.5

Anders als Axel Munthe und Jacques d'Adelswärd bemüht Curzio Malaparte also zunächst einen Architekten und ohne dessen Erfahrung und Renommée wäre ihm an diesem geschützten Ort womöglich keine Baugenehmigung erteilt worden. Es hat dies auch mit inzwischen veränderten Baugesetzen zu tun; Neu- oder Umbauten auf Capri werden seit 1925 durch Behörden und Ministerien in Neapel geprüft und müssen genehmigt werden.

Libera entwirft für den exponierten Felsvorsprung des Grundstücks einen im Grundriss rechteckigen Baukörper von 28 Metern Länge und sechseinhalb Metern Breite. In Richtung offenes Meer ist er zweigeschossig und zum steilen Hang hin eingeschossig mit Dachterrasse. In dem in Naturstein ausgebildeten Sockelgeschoss sollen sich die Schlaf- und Wirtschaftsräume befinden, einseitig orientiert entlang eines langen Flures, im Obergeschoss ist auf ganzer Breite ein Wohnraum vorgesehen, ortstypisch mit flachen Tonnengewölben gedeckt und mit einem Austritt an der Stirnseite Richtung Südosten und Meer. Libera überarbeitet wenig später diesen Entwurf und zeichnet nun einen deutlich grösseren Baukörper von 38 mal neun Metern, platziert das Appartment des Bauherrn mit zwei Schlafzimmern am exponierten Südostende des Sockelgeschosses, lässt im Salon oben den Balkon fallen und sieht für diesen grössere und insgesamt weniger systematisch platzierte Fenster vor.

Bereits der erste Entwurf wird direkt genehmigt, aber dieser und auch der überarbeitete ist nicht das, was Malaparte sich erhofft – zu rational, zu wenig radikal, zu wenig neu, zu wenig sein Selbstbild verkörpernd. Malaparte verändert den Entwurf des Hauses. Und er verändert ihn entscheidend. Als die Bauarbeiten beginnen, ist die Zusammenarbeit mit Libera beendet. Malaparte realisiert mit der Unterstützung des lokalen Baumeisters Adolfo Amitrano ein Haus, dessen Form und innere Struktur er sich durch Skizzen und Montagen, handwerklich etwas ungelenk, in der Aussage aber klar, erarbeitet.

Das Thema und das alles dominierende Element des Hauses ist eine gut zwanzig Meter lange Treppe oder genauer: eine Abtreppung des Baukörpers vergleichbar mit einer Stufenpyramide. Sie beginnt unten schmal und dehnt sich kontinuierlich aus auf die knapp zehn Meter Hausbreite, um oben auf die 300 Quadratmeter grosse Dachfläche zu münden. Dahinter endet das Haus, dahinter endet die Punta del Massullo, dahinter endet die Insel Capri. Dahinter ist nur das Tyrrhenische Meer und irgendwo, weit weg, Paestum auf dem italienischen Festland. Die Treppe ist aus rotem Stein, die Dachfläche ist aus rotem Stein, eine Brüstung gibt es nicht, auch keinen Handlauf. Nur eine weisse gekurvte Wand, die ein wenig Rückendeckung gibt.

Die Treppe oder der massive Stufenberg bestimmt die Form des Hauses und auch die innenräumliche Anlage. Das obere Geschoss ist nun das Hauptgeschoss mit Salon und Appartment. Darunter gibt es, allerdings nur auf halber Hauslänge, das Eingangsgeschoss mit Gästezimmern und Nebenräumen. Die Hausbreite lässt in beiden Geschossen eine axiale Anordnung der Räume mit Mittelflur zu. Der Eingang selbst ist fast verborgen und beiläufig an der langen Südwestflanke platziert und führt in einen knapp bemessenen Raum mit einer gewendeten Treppe hinauf ins Wohn- und Schlafgeschoss. Dieser Anordnung geht die Idee voraus, den Eingang auf Höhe des Hauptgeschosses axial in die grosse Aussentreppe einzuschneiden. Malaparte korrigiert im Sommer 1940 die bereits umgesetzte Variante, die der gewollten Klarheit, Strenge und Härte des Hauses abträglich ist und lässt den Einschnitt wieder schliessen. Ende des Jahres ist das Haus fertig – ein langer schmaler, präzise konturierter Baukörper, rot verputzt, wie eine aus dem borkigen Felsvorsprung herausgeschobene perfekt behauene Skulptur. Die Anordnung der jeweils mehr als ein Dutzend verschieden grosser Fenster auf den beiden langen Aussenwänden folgt keiner Regel oder Fassadenordnung, sie ist vielmehr an der Grösse und Funktion der Innenräume orientiert.

Der zentrale Raum ist der Salon; er nimmt die ganze Hausbreite ein, misst etwa 130 Quadratmeter und ist nahezu symmetrisch gegliedert durch vier grosse Fenster, zwei hier, zwei dort, einander jeweils gegenüber, verschieden gross, aber alle eingefasst in dunkles Holz wie gerahmte Bilder. An der langen Wand nach Südwesten steht in der Mitte ein breiter Kamin mit einem Fenster hinter der Feuerstelle, ihm gegenüber eine flächige Holzskulptur. Der Boden des Raumes ist mit gebrochenen Steinplatten in einem Polygonalverband belegt. Mit einigen selbst entworfenen Möbeln führt Malaparte in den ohnehin nicht sehr hohen Raum einen niedrigen Horizont ein: das Holzbrett des Kamins, eigenwillige lange Tisch- und Bankplatten auf Säulenstümpfen, die Sofas – alles starke Horizontalen ungefähr auf Brüstungshöhe. Die Fenster allerdings haben ihre Unterkante eine Handbreit über dem Steinboden. An den Stirnseiten des Raums gibt es jeweils eine knapp dimensionierte Holztür, von denen eine ganz lapidar seitlich aus dem Treppenraum hineinführt und die andere am entfernten Ende axial heraus. Hier liegen hinter zwei weiteren Türen die privaten Räume. Die rechte führt in Malapartes Schlafbereich, die linke in den der zur Zeit favorisierten Frau. Ganz am Ende der Raumfolge, wieder auf ganzer Breite und mit einem in die Mitte der Stirnseite gesetzten Fenster, befindet sich Malapartes Arbeitsraum, zugänglich nur aus seinem eigenen Schlafzimmer.

Curzio Malaparte lebt in diesem Haus ganzjährig und bis zu seinem Tod. Im Zweiten Weltkrieg arbeitet er als Journalist und Diplomat und behandelt das Erlebte und Gesehene in zwei Romanen, die in Italien lange umstritten, später aber sehr erfolgreich sind: Kaputt erscheint 1944, La pelle 1949. Auf einer Reise nach China erkrankt Malaparte und verstirbt 1957. Das Haus auf Capri bleibt einige Jahre verwaist und dient Anfang der 1960er Jahre als Drehort für den Film Le Mépris. Heute gehört das Haus einer von der Familie des Schriftstellers verwalteten Stiftung.

In einem schnöden Sinne funktional betrachtet ist die Casa Malaparte eine Katastrophe. So heroisch sie auf der Punta del Massullo steht, so verletzlich ist sie. Immer wieder setzen ihr Sturm, Salzwasser und Sonne stark zu. Es gibt keinen Garten und keine Zufahrt, die Erschliessung ist nur zu Fuss möglich, ob von unten vom Wasser oder von oben vom Berg, immer sind viele Stufen zu überwinden, es gibt keine Absturzsicherungen, keine geschützten Aussenräume. Und trotzdem – oder genau deshalb – ist die Casa Malaparte das ausserordentlichste und eindrucksvollste private Wohnhaus des 20. Jahrhunderts. Der Gedanke ist radikal und die Architektur des Hauses zutiefst persönlich, voll eigenwilliger Erfindungen und unmöglich nachzuahmen; ohne offenkundige Einflüsse, ohne Anleihen an das, was in der Architekturgeschichte davor geschah, ohne Anleihen an lokale oder irgendwie typische Hausformen. Die Casa Malaparte macht aus der Punta del Massullo einen neuen Ort, mit dem sie unlösbar verbunden ist. Seitdem ist hier kein anderes Haus mehr vorstellbar.

«Auf der Insel Capri lebten drei Narzissten, von denen jeder ein Haus auf einer Felsenspitze baute», schreibt Bruce Chatwin, «... Traumhäuser ..., die trotz des idyllischen Rahmens von einer morbiden Atmosphäre geprägt waren, ähnlich jener von Böcklins Toteninsel Arnold Böcklin (1827-1901) hat die Toteninsel in den Jahren 1880 bis 1886 fünf Mal gemalt, immer mit leichten Veränderungen, anspielungsreich, symbolistisch, autobiografisch. Wenn es ein reales Vorbild für die Toteninsel gab, wird es sich im Golf von Neapel befunden haben. Aber Morbidität, da irrt Chatwin, ist hier nicht, bei keinem der Häuser. Es ist eine leise Traurigkeit. Und Sehnsucht.

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23.11.2022Bettina Köhler

Liebe du Arsch!

Kann man Häuser wegwerfen? Kann man Ignoranz, Gier und Resignation überwinden? Hilft Liebe? Bettina Köhler bejaht diese Fragen und spürt der Schönheit als Hüterin der Dauerhaftigkeit nach. lesen
22/07
Liebe du Arsch!
Artikel 22/06
19.10.2022Fala

Fala meets Siza

Fala and Álvaro Siza are bound by origins but separated by age. In a personal encounter, the 89-year-old Pritzker Prize winner talks about that which is still reflected in Fala's own work today. lesen
22/06
Fala meets Siza
Artikel 22/05
22.9.2022Anna Beeke

Trailer Treasures

Within mobile home parks, Anna Beeke encounters a clear desire for individualized place. In her photographs she shows how prefabricated units are the same, but different. lesen
22/05
Trailer Treasures
Artikel 22/04
20.8.2022Mario Rinke

Offene Meta-Landschaften

Mario Rinke plädiert für Tragwerke, die nicht für eine Nutzung, sondern aus dem Ort heraus erdacht werden. In diesen Meta-Landschaften können sich Architekturen episodenhaft ereignen. lesen
22/04
Offene Meta-Landschaften
Artikel 22/03
1.7.2022Virginia de Diego
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Reductio ad absurdum

Through deliberate destruction a former bunker can be preserved. Its relevance is created out ouf its absurdity. lesen
22/03
Reductio ad absurdum
Artikel 22/02
1.7.2022Jerome BeckerMatthias Moroder

The balance of chaos and structure

In conversation with Jerome Becker and Matthias Moroder, Marc Leschelier emphasises his aversion to functionalism and stresses the importance of architecture as a form of expression. lesen
22/02
Chaos and Structure
Artikel 22/01
1.7.2022Gerrit Confurius
Teatro di Marcello, Rom, Giovanni Battista Piranesi (1720-1778), ca. 1757

Permanenz als Prinzip

Gerrit Confurius erinnert sich an das Ende der gedruckten Ausgabe von Daidalos und empfiehlt das Prinzip der Permanenz als Strategie auch für die zukünftigen Aufgaben der Architektur. lesen
22/01
Permanenz als Prinzip